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    Kurzgeschichten: Autor Kurt Meran von Meranien

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                                                    Kurzgeschichten 6

Schneetreiben
Manfred stand am Fenster und sah auf die verschneite Strasse. Es schneite immer noch. Lustig wirbelten die Flocken vor seinem Fenster.
Auf der Strasse ging eine ausgelassene Gesellschaft an seinem Haus vorbei. Mehrere Erwachsene und drei Kinder. Sie schlitterten, warfen mit Schnellbällen, lachten und schrieen. Traurig sah Manfred ihnen zu. Er dachte an Janet und Jenni. -
Vor  neun Jahren hatte er im Urlaub im Harz, Janet kennen gelernt. Sie war ein paar Jahre jünger als er. Ihre rotbraunen Haare glänzten wie poliertes Kupfer, wenn Sonnenstrahlen auf ihrem Kopf spielten. Sie war groß, ging ihm fast bis zu den Ohren. Er brauchte sich kaum zu bücken, wenn er sie küsste. Sie war anschmiegsam. Tanzte gern und lange. Sprudelte über vor Lebensfreude. Konnte aber auch sehr kratzbürstig sein. Sie tauschten im Urlaub ihre Adressen aus, und schrieben sich fast ein Jahr. Dann kam längere Zeit von ihr keine Post mehr, obwohl er unbeirrt weiter schrieb. Eines Tages rief sie ihn an. Sie sei in der Nähe und wollte ihn sehen.
Er traf sich mit ihr in einer Gaststätte. Sie sah frisch und munter aus, und sprach pausenlos. Von dem vergangenen Jahr sprach sie nicht. Plötzlich war sie still, schluckte, und brach in Tränen aus. Sie hatte damals im Urlaub nicht nur seine Bekanntschaft gemacht, sondern auch noch einen anderen Mann kennen gelernt. Einen Draufgänger, der nicht so ruhig und zurückhaltend war wie er. Mit ihm hatte sie sich öfters getroffen. Sogar als sie mit Manfred korrespondierte. Dann bekam sie ein Kind. Ein süßes kleines blondes Mädchen. Der Kerl tauchte ab. Verschwand im Ausland, und war nicht mehr aufzufinden. Ihr Kind war jetzt ein Jahr alt. Sie arbeitete wieder, während das Kind bei ihrer Schwester Maria blieb. Sie tat  ihm Leid. Er versuchte sie zu trösten, und merkte, dass er sie immer noch liebte. Sie trafen sich damals immer öfter und heirateten schließlich. Die Einwohner nahmen Janet und ihr Kind, wie selbstverständlich in ihre Gemeinschaft auf. Sie war lieb und nett, kein bisschen kratzbürstig. Die Frau im Nachbarhaus kümmerte sich um Jenni, Janets Tochter, während sie beide arbeiteten. Manfred taute immer mehr auf. Sie drei waren viel unterwegs. Alle drei galten im Ort als aufgeschlossen, als gute Gesellschafter. Nach zwei Jahren vergrößerte sich die Familie um einen Jungen. Er war von Anfang an stämmig, hatte einen etwas dunklen Teint, wurde schnell braun. Die Zeit verging. Ein drittes Kind. Es war eine schwere Geburt. Janet kränkelte seitdem, und blieb auf Dauer zu Hause. Er verdiente genug. Sie hatten ihr Auskommen.
Die Kinder gediehen. Die Familie war nicht mehr soviel unterwegs, und wenn doch, dann nicht mehr zu Fuß, da Janet schnell ermüdete. Vor drei Jahren erkrankte sie schwer. Die Ärzte konnten ihr kaum helfen. Als es schien, dass sie sterben würde, wich er nicht mehr von ihrem Krankenbett. Sein Chef zeigte Verständnis und er blieb auch manche Nacht in ihrer Nähe. Und eines Nachts erzählte sie ihm unter Tränen, das die beiden Kinder, die während ihrer Ehe geboren wurden, nicht von ihm waren.
Janet hatte, als sie zu ihm zog, eine Arbeit an der Uni in der benachbarten großen Stadt gefunden. Dort hatte sie viel Umgang mit ausländischen Studenten. Er konnte einfach nicht fassen, was sie ihm da erzählte. Er rief die Nachtschwester. Aber die sagte ihm, nachdem sie mit ihr gesprochen und sie neu gebettet hatte, dass sie kein Fieber habe.
Er konnte es doch nicht glauben, das Jastin und Myriam nicht seine Kinder sein sollten.

Nach ihrem Geständnis erholte sich Janet, wie von einer schweren Last befreit. Sie wurde wieder gesund. Die Ärzte, die nichts von ihrer Beichte wussten, standen vor einem Rätsel, welches aber niemand je aufklärte.

Vor über einem Jahr, sie war ganz die alte, junge ausgelassene Frau, machten sie Urlaub in Österreich. Bei einer schwierigen Bergtour verliefen sie sich.
Sie hatte darauf bestanden, dass die Kinder an der Bergtour teilnahmen. Manfred und die Dorfbewohner hatten vergebens versucht, sie davon abzubringen. Ihre Argumente, dass die Tour für die Kinder viel zu anstrengend sei, tat sie  mit einer Handbewegung ab. Unterwegs kamen sie in ein ausgedehntes Nebelgebiet.
Er schlug vor, zusammen zu warten, bis sich der Nebel lichtete und eventuell über Handy Hilfe zu rufen, falls es länger dauern würde. Sie hatte ihn ausgelacht. Er blieb kopfschüttelnd mit Jenni an der Hand stehen, denn das Kind fürchtete sich im Nebel. Seine Frau ging mit den kleineren Kindern einfach weiter. Als er und Jenni ihnen folgten, waren die drei verschwunden. Sie riefen abwechselnd und zusammen nach ihnen. Es kam keine Antwort. Er rief über Handy den Bergrettungsdienst.
Ein Suchtrupp fand ihn und Jenni in kurzer Zeit. Schließlich fanden sie auch Janet.

Janet, Jastin und Myriam hatten sich zuerst einen Spaß daraus gemacht, auf das Rufen von Manfred und Jenni nicht zu antworten. Dann wussten sie nicht mehr wo sie waren, und liefen einfach  talwärts. Auf einem steilen Abhang angekommen, wussten sie nicht weiter. Die Kinder heulten. Bei einer unbedachten Bewegung, Myriam saß weinend auf einem großen Stein, rutschte sie ab, rollte zur Kante und fiel ins Bodenlose.
Janet erstarrte. Jastin hatte versucht, seine Schwester festzuhalten, stürzte aber und rutschte ebenfalls über die Kante.
Als die Bergrettung Janet  fand, war  sie nicht in der Lage, zu erklären, was geschehen war. Man fand dann die beiden Kinder. Myriam lebte zwar noch, verstarb aber auf dem Transport ins Krankenhaus. Jastins Körper war vollkommen zerschmettert.
Janet stritt alles ab. Ihr Ehemann, habe sie einfach weitergehen lassen. Er sei am Tod der Kinder Schuld.   
Sie befand sich nach dem Urlaub in einem merkwürdigen konfusen Zustand.
Auf der einen Seite, bat sie Manfred und Jenni um Verzeihung für ihr Verhalten am Berg, war anschmiegsam und zärtlich, aber dann grob und unausstehlich.
Es konnte passieren, dass sie in Gesellschaft plötzlich vom Urlaub erzählte und stur der Meinung war, und diese Meinung halsstarrig vertrat, dass alles nur an ihm gelegen habe.
Sie verbot Jenni, Manfred mit Papa anzusprechen. Sie schrie herum, dass ist nicht dein Vater, zu dem darfst du nicht Papa sagen!
Bei der Untersuchung der Vorgänge im Urlaub, war ganz eindeutig festgestellt worden, dass Janet die Tour gegen den Willen ihres Mannes und gegen die Vorbehalte der Dorfbewohner durchgesetzt hatte. Einen Führer hatte sie von vornherein abgelehnt, da sie sich für besser hielt als jeden einheimischen Bergführer.
Schließlich wurden sie in beiderseitigem Einvernehmen geschieden. Janet kam in ambulante psychiatrische Behandlung. Und sie bekam das Sorgerecht für Jenni, da Manfred ja nicht Jennis Vater war. Jenni durfte ihn aber besuchen. -

Das alles ging Manfred durch den Kopf, als er am Fenster stand.
Jenni war gerade mit Janets Schwester Maria, die sie versorgte, wenn ihre Mutter in der Klinik war, da gewesen. Sie hatten ein paar schöne Stunden gehabt. Er liebte Jenni von ganzem Herzen, und Jenni ihn. Dass er nicht ihr richtiger Vater war, störte sie nicht. Er sprach auch immer von seinen Kindern, wenn die Sprache auf Jastin und Myriam kam. Er hatte sie nach Janets Beichte nicht spüren lassen, dass sie Kuckuckskinder waren.

Er entschloss sich für einen Spaziergang im Schnee.
Als er am Nachbarhaus vorbei kam, verabschiedete sich gerade die Tochter seiner Nachbarin. Er blieb kurz stehen und meinte, sie, die Tochter, könne bei diesem Schneetreiben doch nicht wegfahren. Sie sagte lächelnd: „Müssen nicht, aber bei Mutter ist es mir zu langweilig“. Sie gingen zusammen zum Auto. Sie besah sich ungläubig den Berg, unter dem sie ihr Auto vermutete. Manfred sagte: „Komm wir gehen ein Stück. Wenn der Schneepflug durch ist, kannst Du immer noch fahren.“
Sie kannten sich schon ewig. Als Nachbarskinder hatten sie zusammen gespielt. Und nicht nur gespielt. Sie war sein Schwarm, seine erste Liebe gewesen.
Sie heiratete, als er  seine Frau im Harz kennen gelernt hatte. Ihre Ehe war kinderlos geblieben und der Mann vor fünf Jahren gestorben.
Sie lebte in der Nachbarstadt, in der Janet gearbeitet hatte. Seit er geheiratet hatte, hatten sie sich kaum gesehen, nie miteinander gesprochen.
Nun gab es sehr viel zu erzählen. Sie merkten gar nicht, wie die Zeit verging. Während des Erzählens, hatte Manfred plötzlich angefangen, sie mit  Schneebällen zu attackieren. Sie wehrte sich, und Schneebälle flogen hin und her. Dann wälzten sie sich im Schnee herum wie kleine Kinder, und hielten sich plötzlich in den Armen. Verlegen machte sie sich los, und beide standen auf.
Er umarmte sie wieder. Immer noch verlegen, aber trotzdem mutig, legte sie ihre Arme um seinen Hals und küsste ihn. Langsam gingen sie nach Hause. Blieben aber immer wieder stehen.

Der Schneepflug war nicht gefahren. Mit dem Auto war kein Durchkommen.
Zu ihrer Mutter wollte sie aber auch nicht. Manfred lud sie zu sich ein.
„Du brauchst etwas Warmes zu trinken, und musst Dich Umziehen.“
Er schubste sie zur Haustür. „Los, erst einmal rein in die gute Stube.“ Im Haus war es kühl. Sie bibberte.  Er ging mit ihr ins Schlafzimmer.
Dort sagte er: „ Zieh Deine Sachen aus und häng sie in die Küche. Während sie trocknen kannst Du ja einen Bademantel anziehen.“
Sie ging mit dem Bademantel über dem Arm in die Küche und zog sich aus, während Manfred im Wohnzimmer ein paar Kerzen anzündete und den Player anstellte.
Nach ein paar Minuten erschien Marion mit einer Flasche Burgunder und Gläsern. Auf seinen fragenden Blick hin meinte sie, die Flaschen liegen immer noch dort, wo sie bei Deiner Mutter auch lagen.
Als Marion später auffordernd ihren Bademantel öffnete, konnte Manfred dieser Verlockung nicht widerstehen.
Marion flüsterte. „Vergiss einfach Deinen Kummer. Es geht alles vorbei.
Du musst Abstand gewinnen!“ Manfred ließ sich fallen.
Später schliefen sie eng umschlungen in Manfreds Bett ein.
Vorher hatte Marion noch telefoniert, und hatte einen Tag frei genommen.
Verwundert wachte sie am Morgen auf. Ein Wecker hatte nicht geklingelt, aber  er war auch nicht da. Sie drehte sich herum, und duselte wieder ein.
Ein Kuss weckte sie richtig. Er saß auf der Bettkante, und balancierte ein Tablett mit vielen schönen Frühstückssachen. Sogar Honig, Konfitüre und Orangensaft gab es. Sie bestaunte das Frühstück. „Ich denke Du isst keine Marmelade?“ fragte sie. Nein, tue ich auch nicht, meinte er. „Und wo hast Du dann diese Sachen her?“ Er grinste, und sagte: „Ich war bei Deiner Mutter und habe ihr alles erzählt. Von ihr habe ich das Frühstück bekommen.“ Marion schluckte. Dann fragte sie: „Und was hat Mutter gesagt?“ „Deine Mutter hat nur gesagt...“ Er stockte. Sie drängte ihn. „Los sag schon.“ „Deine Mutter hat gesagt. Nein, das kann ich nicht wiederholen, was sie gesagt hat“. Und dann: „Sie hat uns zum Mittagbrot eingeladen“. „Ob er nicht arbeiten müsse“, fragte sie ihn. „Nein heute nicht.“ Er habe auch telefoniert.
Mittags gingen sie rüber ins Nachbarhaus. Ihre Mutter hatte sich große Mühe gegeben. Als sie sich nach dem Essen bei ihr bedankten, flüsterte sie ihrer Tochter etwas ins Ohr. Marion wurde knallrot, und boxte ihre Mutter in die Seite.
Am Nachmittag rief Maria an. Sie unterrichtete Manfred davon, dass Janet in eine geschlossene Anstalt gekommen sei, und nicht mehr ansprechbar war.
Sie kümmere sich um Jenni. Aber wenn er wolle, würde sie Jenni zu ihm bringen. Marion hatte mitgehört.
Sie sagte sofort: „Das ist ja prima, mit einem Kind kommt wieder Leben in das Haus.“ Er sah sie ernst an, und fragte: „Bleibst Du bei mir und Jenni?“
Sie nickte freudestrahlend.
Manfred sagte: „ Komm wir gehen zu Deiner Mutter, und machen sie damit vertraut, dass sie Oma ist, und sich um Jenni kümmern muss, wenn wir arbeiten.“
Marion küsste ihn zärtlich.
Dann fragte sie. „ Nimmst Du mich zur Frau?“
Manfred grinste. „Wer nimmt hier wen?“

Kurt Meran von Meranien 11.01.2008

*

Maja
Achim ging nach einem Besuch bei Bekannten nach Hause. Er war sehr bedrückt. Seine Bekannten hatten ihm mit Nichtigkeiten zugesetzt. Er war verletzt und fühlte sich missverstanden.
Achim war so in Gedanken versunken, dass er fast über ein kleines Kind, das plötzlich vor ihm stand gefallen wäre. „Was machst du hier?“, fragte er erstaunt „Ich warte auf meinen Vati, aber er kommt nicht“. Der Stimme nach, war das ein Mädchen. Er nahm die Kleine bei der Hand und zog sie ins Laternenlicht. „ Wieso wartest du im Dunklen auf deinen Vati?“ „Mutti hat gesagt, warte hier, ich komme gleich wieder“, sagte die Kleine weinerlich. Achim fand das seltsam. Abends um neun im Dunklen lässt eine Mutter doch ihr Kind nicht allein.
„Wie heißt du denn?“, fragte er. „Maja“. Maja heißt doch die Biene, erinnerte er sich, das ist doch kein Mädchenname. „Und weiter?“ Sie sah ihn fragend an. „Wie heißt denn deine Mutti?“ „Mutti“. Mm. „Und dein Vati?“ „Vati“. „Hast du Geschwister?“ „Ja, aber die sind schon groß“. „Wie groß, ich meine wie alt bist du denn?“ „Vier.“ Verdammt, dachte er, hier kommt niemand. Was fange ich mit einem vierjährigen Mädchen an? Schließlich, während die Kleine immer weiter plapperte, rief er die Polizei an. Umständlichen Fragen gab er gereizt ironische Antworten. Der Beamte am Telefon sagte: „Bleiben sie, wo sie sind, die Mutter kommt bestimmt bald.“ Achim fragte den Beamten, ob er in seinem Büro Fenster habe. Stille. Dann sagte der Mann: „Natürlich, warum?“ „Na, dann gucken sie doch einmal hinaus und sagen mir, was sie sehen.“ „Nichts, es ist doch dunkel.“ „Na eben, es ist dunkel, “ schäumte Achim. „Und ich stehe hier im Dunkeln mit einem kleinen Mädchen, das ich in dieser Dunkelheit fast umgestoßen hätte. Wir stehen nun schon fast eine Stunde hier. Es kommt keine Mutter und auch kein Vater, und ich muss unmögliche Fragen beantworten.“ Damit beendete Achim das Gespräch. Die Kleine sagte plötzlich: „Ich habe Hunger“. In seine Wohnung wollte Achim nicht gehen. Wer weiß, was die Polizei dann glaubte.
Er rief noch mal dort an, und sagte: „Hier ist noch niemand aufgetaucht. Wir gehen jetzt zu Stottmeister. Es fängt an zu regnen und Maja hat Hunger.“ Maja ergriff zutraulich seine Hand, als er sagte: „ Komm bitte mit. Da drüben können wir zu Abend essen. Aber lass mich nicht los, damit du mir nicht verloren gehst.“ Bei Stottmeister war mäßiger Betrieb. Die Kellnerin nahm die Bestellung auf. Achim erzählte ihr, wieso er in Begleitung eines kleinen Mädchens war. Sie aßen und tranken, ohne dass Polizei auftauchte. Da er nicht wusste, was er mit einem kleinen Kind abends anfangen sollte, begann er ihr Geschichten zu erzählen. Geschichten, die er gerade beim Erzählen erfand. So, wie er es immer machte, wenn er allein war. Und eigentlich war er ja immer allein. Maja hörte gespannt zu. Er ließ das ganze Märchenreich auferstehen, und integrierte es in die moderne Welt. Märchengestalten flogen zum Mond, Astronauten verliefen sich im Wald und fragten die Hexe nach dem Weg. In den Geschichten, die er erzählte, war alles möglich. Die Zeit verging. Achim musste einmal hinaus, unterbrach die Geschichte und stand auf. Ungläubig sah er sich um. Am Nebentisch saßen zwei Polizistinnen. Herr Stottmeister lehnte an der Biertheke. Die zwei Biertrinker dort, die noch laut erzählt hatten, als Achim und Maja aßen, waren mucksmäuschenstill. Am nächsten Tisch saß ein Ehepaar mit zwei größeren Kindern. Er sagte erstaunt: „Nanu, die Polizei ist ja da. Warum sind Sie denn nicht an unseren Tisch gekommen?“ Eine der Polizistinnen sagte: „Wir wollten sie nicht stören. Solche Geschichten haben wir noch nicht gehört. Wer hat die geschrieben?“ Achim grinste. „Ich komme gleich wieder.“ Maja wollte nicht allein bleiben und stand auch auf. „Ich gehe auf die Toilette, da kannst du nicht mit“, und zu Herrn Stottmeister gewendet: „Passen sie mal auf die Kleine auf?“ Der nickte. Als Achim wieder kam, saßen alle noch friedlich da und warteten. Ein Junge fragte: „Geht’s weiter?“ Er sah auf die Uhr. Ungläubig starrte er auf das Zifferblatt. „Es ist ja schon eins! Maja muss ins Bett.“ Maja sagte: „Ich bin noch nicht müde. Wir gehen zu dir, und du erzählst weiter.“ „Prima“, sagte Achim, „erstens geht das nicht, weil wir immer noch nicht wissen, was mit deinen Eltern ist, und dann bin ich weder auf Besuch noch auf Kleinkinder eingerichtet.“ Die Polizistinnen beratschlagten und telefonierten. Dann sagte die eine: „Wir bringen Maja jetzt ins Kinderkrankenhaus. Sie kommen morgen aufs Revier, damit ein Protokoll aufgenommen werden kann.“ Maja protestierte. „Ohne Onkel Achim komme ich nicht mit.“ Er lenkte ab. „Du wirst in einem weißen Bett schlafen, und dich ganz toll wohl fühlen.“ „Nein, ich bleibe bei dir.“ Er schüttelte den Kopf. „Maja. Maja das geht nicht. Ich kann dich nicht mitnehmen. Du musst ins Bett und ich habe nur eins.“ „Da schlafe ich eben bei dir im Bett.“
Er wurde ungeduldig. „Maja, ich habe nur ein schmales Bett. Da kann man nicht zu zweit drin schlafen.“ „Bist du denn allein?“ „Ja, Maja.“ „Da musst du aber traurig sein.“ „Warum soll ich traurig sein?“ „Weil du so allein bist.“ Er wurde langsam wütend. Es wurde immer später. Er wollte ins Bett. Und die beiden Polizeibeamtinnen taten gar nichts. Alle anderen waren inzwischen gegangen. Herr Stottmeister und seine Kellnerin machten überall das Licht aus. Achim sagte zu den Beamtinnen: „Wären Sie bitte so freundlich, etwas zu unternehmen? Ich will ins Bett. Oder sie übernehmen das Kind, und ich gehe schlafen.“ Und zu Stottmeister: „Würden Sie mir bitte was zu trinken geben, ich habe einen ganz trockenen Mund.“ Die ältere der Polizistinnen fragte: „Haben sie wirklich keine Frau?“ „Nein, verflixt und zugenäht. Was soll die Fragerei?“ Maja fing an zu heulen. „Warum ärgert ihr meinen Onkel?“, schluchzte sie. Alle sahen sich wie auf Kommando um. „Wer ist denn dein Onkel“? fragte Herr Stottmeister. Maja zeigte auf Achim. Die Polizistinnen fingen an zu schimpfen. „Ruft der Kerl bei uns an und sagt, er hätte ein Kind gefunden, in Wirklichkeit ist sie seine Nichte!“ Achim fiel das Kinn auf die Brust. Vollkommen verblüfft starrte er Maja an. „Maja, was soll der Unsinn? Wir haben uns erst heute Abend kennen gelernt. Ich habe dich noch nie gesehen.“ Maja, sagte unbeirrt: „Du bist mein Onkel.“ Und zu den Polizistinnen: „Er denkt sich immer so tolle Geschichten aus.“
Die Polizeibeamtinnen wollten jetzt seine Wohnung sehen. „Wir kommen jetzt mit zu ihnen.“ Da streiten keinen Sinn hatte, welcher Mann kann sich gegen drei Weiblichkeiten durchsetzen, ging Achim mit Maja an der Hand los. Als alle sein Wohnzimmer betraten, pfiffen die Polizistinnen verblüfft. Er wunderte sich darüber, sagte aber kein Wort. Die Ältere schaute in alle Ecken und meinte dann verwundert: „Und hier wohnen sie?“ Er nickte. „Hier wohne ich.“ „Hier ist es ja für zwei Personen viel zu klein.“ „Na, ich bin ja auch allein.“ „Und wo wohnt Maja?“ Achim wollte gerade sagen, woher soll ich das wissen, als es an der Haustür klingelte. Er meldete sich über die Sprechanlage. „Polizei, öffnen sie bitte!“ Die Treppe herauf kamen zwei Polizisten und eine nicht mehr ganz junge, verweinte Frau. Als sie Maja sah, stürzte sie auf das Kind zu und umarmte es heftig. „Kind, was machst du nur für Sachen? Wo bist du gewesen?“ schluchzte sie. Die vier Grünen debattierten leise. Dann sagte einer von ihnen: „Die Sachlage klären wir morgen. Sie sind um acht auf dem Revier Nordost.“ Achim schüttelte den Kopf. „Das werde ich mit Ihrer gütigen Erlaubnis nicht tun. Wenn Sie so liebenswürdig sind, dann sehen Sie bitte einmal auf die Uhr. Es ist fast vier Uhr! Ich denke, wir verabschieden uns jetzt. Ich gehe ins Bett und komme Morgen, sobald ich ausgeschlafen habe, auf das Revier. Würden Sie bitte so freundlich sein und meine Wohnung jetzt verlassen?“ Nach einem kurzen Zögern verließen alle Achims Wohnung.
Am frühen Nachmittag erschien er, er hatte vorher angerufen, auf dem Revier. Maja war mit ihrer Mutter auch da. Als Achim ins Zimmer trat, flog Maja auf ihn zu. Sie sprang ihn an und umarmte ihn stürmisch. An seinem Hals hängend weinte und lachte sie glücklich. Die Mutter erzählte, wieso Maja verschwunden war.
Ihr Mann war vor einiger Zeit gestorben. Maja und ihr Vater hatten sich heiß und innig geliebt. Maja glaubte nicht, dass er niemals wiederkommen würde, und suchte ihn ständig. Sie wusste, wo er gearbeitet hatte und pendelte auf dem Arbeitsweg hin und her. „Vati geht hier immer lang, ich treffe ihn bestimmt.“ Dann ergänzte sie, dass Maja den ganzen Tag von Onkel Achim geschwärmt hätte. Maja, jetzt auf seinem Schoß sitzend, machte den Vorschlag, da er ja allein sei, könne er doch zu ihnen ziehen. Platz sei genug da und sie brauchten nicht in der Gaststätte sitzen, wenn sie Geschichten hören wollten. Achim fluchte innerlich. Da hatte er sich ja etwas Schönes eingebrockt! Seine Gedanken wurden abrupt unterbrochen. Die Mutter lud ihn zum Kaffeetrinken ein. Achim zuckte mit den Schultern. „Geht nicht. Ich trinke keinen Kaffee, esse keinen Kuchen und habe keine Zeit.“ Maja mischte sich ein: „Du kommst jetzt mit!“ Resigniert zuckelte Achim mit.
Majas Familie bewohnte ein Einfamilienhaus. Man sah auf den ersten Blick, dass sich niemand um den Vorgarten gekümmert hatte. Nach dem Kaffeetrinken schnappte Achim sich ein paar Werkzeuge, stellte Mutter und Tochter zur Arbeit an und brachte den Vorgarten einigermaßen in Ordnung. Danach wurde er zum Abendbrot eingeladen.
Zusammen mit der Frau brachte er später Maja ins Bett. Natürlich ging es nicht ohne Geschichte ab. Als die beiden Erwachsenen das Kinderzimmer verlassen wollten, rief Maja sie zurück.
Erst flüsterte sie ihrer Mutter etwas ins Ohr und als diese sie verblüfft ansah, sagte sie laut: „Weißt du, Onkel Achim, du wärst bestimmt ein guter Vati. Warum bleibst du nicht da? Du kannst ja Mutti heiraten. Und wenn Vati nach Hause kommt, freut er sich bestimmt, dass Mutti nicht so allein ist.“

Und dann flüsterte sie ihm halblaut zu: „Mutti weint nachts immer.“

Kurt Meran von Meranien 25.12.2007

*

Nach was sehnt man(n) sich?
Falco stand vor seiner Haustür. Verzweifelt starrte er sie an. Heidi seine Frau war nicht dagewesen. Die Sicherung war unversehrt.
Er schloss auf und ging durch alle Zimmer. In der Küche stand noch sein Frühstücksgeschirr. Im Schlafzimmer lagen Heidis Sachen herum, ihr Bett war unbenutzt. Falco ging in den Hof, setzte sich auf den Hackklotz und überlegte.
Was sollte er tun?

Angefangen hatte alles vor sieben Jahren. Falco lernte Heidi durch die Arbeit kennen. Sie arbeiteten im gleichen Betrieb in verschiedenen Abteilungen. Sie war mehrere Jahre jünger als er, rothaarig und temperamentvoll. Selbstbewusst aber umgänglich. Sie gingen zusammen Tanzen und Spazieren und verliebten sich. Schließlich zogen sie zusammen. Nach zwei Jahren heirateten sie. Da sie Beide im Schichtdienst arbeiteten, wollte sie keine Kinder und nahm die Pille. Während er jede Möglichkeit nutzte, um sich weiterzubilden, war Heidi mit dem was sie erreicht hatte zu frieden.

Sie waren drei Jahre verheiratet, als ihm ein besser bezahlter Arbeitsplatz im Tagesdienst angeboten wurde. Allerdings in einer anderen weit entfernten Stadt. Er ging morgens zeitig aus dem Haus und kam erst abends heim. Heidi klagte oft, dass sie solange allein war.
Beide verdienten gut und fuhren jedes Jahr mehrmals in den Urlaub. Dann holten sie, raus aus dem Trott viel nach.
Vor einem Jahr wurde ihm die Leitung zusammen mit einer Gehaltserhöhung in der Abteilung angeboten, in der Heidi arbeitete. Er hatte gedacht, dass sich Heidi freuen würde, da er nicht mehr eine so lange Ausbleibezeit hatte, und sie sich ein Einfamilienhaus mieten konnten. Sie wollte aber nicht mit ihm zusammenarbeiten. Deshalb ließ sie sich in eine andere Abteilung in einem nahe gelegenen kleinen Ort versetzen und blieb im Schichtdienst.
Eines Tages stellte Falco fest, dass Heidi nicht mit ihrem Stadtflitzer zur Arbeit gefahren war, sondern mit dem Fahrrad. Er war gegen sechszehn Uhr nach Hause gekommen. Der Flitzer stand in der Garage das Fahrrad fehlte. Was war los? Er untersuchte das Auto und fuhr eine Runde. Einen Fehler konnte er nicht erkennen. Danach ging er in die Küche um etwas zu essen. Heidi hatte nichts gekauft, nicht abgewaschen und aufgeräumt, obwohl sie Spätdienst hatte. Sie kam auch nicht wie üblich gegen dreiundzwanzig Uhr nach Hause. Weit nach Mitternacht polterte sie sturzbetrunken herein. Er musste sie Ausziehen und ins Bett bringen. Es kam soweit, dass sie nach dem Frühdienst fast ständig betrunken war, und nach dem Spätdienst erst in der Nacht oder am Morgen kam. War Alkohol im Haus musste er weggeschlossen werden. Eines Tages behauptete sie, das Fahrrad sei ihr gestohlen worden, und fuhr wieder mit dem Auto zur Arbeit. Einen Monat später waren die Fleppen weg. Falco drängte vergebens auf eine Aussprache.
Er stellte Nachforschungen an und erfuhr, dass sie in eine Abteilung gekommen war, in der viele junge Männer arbeiteten. Jünger als er. Anschließend an den Dienst gingen die Teammitglieder regelmäßig zusammen Trinken. Dabei hatte Heidi einen ebenfalls verheirateten Mann kennen gelernt, und war oft mit ihm zusammen.
Das Zusammenleben von Heidi und Falco wurde ein Alptraum. Sie kam und ging wie sie wollte. Oft behauptete sie dreist, zu Hause gewesen zu sein, aber keine Lust zur Hausarbeit gehabt zu haben. Hausarbeit machte Falco nichts aus. Sie hatten von Anfang an die Arbeit aufgeteilt. Er die schwere und die Gartenarbeit. Sie leichtere und schnelle Sachen. Kochen er, Backen sie, Einkaufen zusammen.

Um kontrollieren zu können, ob sie wirklich zu hause gewesen war, brachte er an den Türen Haarsicherungen und andere Merkmale an, die beim Öffnen der Türen zerstört wurden.
Als er einen Lehrgang besuchte, feierte sie im Garten lautstarke Partys, wie ihm die Nachbarn stirnrunzelnd erzählten. Etwas musste sich ändern.

Er sah zur Uhr. Es war zwei. Heidi hatte gestern Spätschicht gehabt. Als er früh weggegangen war, war sie noch nicht da. Da er Nachtkontrolle machen wollte, war er heute früher gegangen.
Die Gartentür klappte, Schritte. Sie kam. Leicht schwankend. Stutzte als sie ihn sah. Falco fragte sarkastisch: „Na war’s schön?“ Sie ging sofort hoch wie eine Rakete. „Ich habe bei einer Freundin übernachtet, weil ich heute Frühdienst übernehmen musste.“ „Prima. Was soll das für eine Schicht gewesen sein? Frühschicht geht bis zwei! Deine Freundin heißt Gerd, ist fünf Jahre älter als Du und wohnt in K. oder?“ „Du spionierst mir wohl nach“, fragte sie giftig. „Wir gehen jetzt rein und sprechen uns aus! Verstanden?“
Er schob sie ins Haus. Im Wohnzimmer riss er ihr die Kleider vom Leib, zerrte sie ins Bad unter die Dusche, und drehte das Kaltwasser weit auf. Als sie leicht blau angelaufen war, ließ er sie raus, gab ihr den Bademantel und ein Tasse heiße Pilzsuppe.
Seit sie trank schlief er nicht mehr im Schlafzimmer und mit ihr. Sie lief zu Hause herum wie eine Vogelscheuche. Knurrte oder lallte, falls sie nicht irgendwo betrunken herumlag. Jetzt, da sie halbwegs nüchtern und sauber war, versuchte er ihr ins Gewissen zu reden. Sie immer noch liebend, machte er Vorschläge, wie sie wieder zusammenfinden konnten. Es half nichts. Stur schalt sie ihn einen alten Mann, der nur noch seine Arbeit kennen würde.

Schon Monate später waren sie geschieden. Da sie weiter wilde Partys feierte, schloss er seine Räume ab. Als sie endlich weg war, feierte er mit seinen Nachbarn, obwohl er Heidi sehr vermisste. Sie bekam eine kleine Wohnung an ihrem Arbeitsort. Da ihr Freund Heidi während der Scheidung verlassen hatte, dachte Falco, dass sie zurückkommen würde.

Sie wollte nicht, trank weiter und war alsbald als williger rothaariger Teufel ortsbekannt.

Kurt Meran von Meranien 04.01.2009      ("Schönefelder Blätterwirbel" 3. Jg.  Schönefelder Schreibwerkstatt)

*

Das Schloss
Ich saß dösend auf der Sonnenterrasse, die sich an den Salon anschloss, als Marianne auf mich zustürzte. Ehe ich  etwas sagen konnte sprudelte sie los: „Kurt, Kurt wir müssen eine neue Versicherung abschließen!“
Ich sah sie fragend an. Marianne nahm diesen Blick als Aufforderung: „Man kann sich jetzt endlich gegen Frust versichern. Dass wollte ich schon lange. Jetzt geht es endlich.“ Ich wusste nicht was ich sagen sollte. Marianne sprach aufgeregt weiter: „Ruf unseren Versicherungsfritzen an. Er soll herkommen und uns versichern.“ „Nun einmal langsam. Ich verstehe überhaupt nicht, was Du willst. Gegen Frust kann man sich nicht versichern. Wenn es das gäbe, hätte ich es längst getan.“ Marianne war nicht aufzuhalten: „Das ist mir klar, dass Du nichts verstehst! Du kehrst immer den klugen Kerl heraus, aber in Wirklichkeit bist Du ein ahnungsloser Versager.“ Ich donnerte die Faust auf den Tisch. „Ruhe jetzt, oder ich vergesse dass Du meine Gattin bist. Du bist der Versager. Von wem hast Du diesen Blödsinn mit der Versicherung gegen Frust? Doch nicht etwa von der Mayern? Hast Du schon wieder am Telefon gehangen?“ Als ich damals auf der Kreuzfahrt das viele Geld gewonnen hatte, hatten wir unsere Wohnung in der Stadt aufgegeben. Ich hatte eine kleine Villa, schön weit weg von Leipzig gekauft. Hilde, Mariannes Schwester wohnte mit Rudi ihrem Mann immer noch in Taucha. Zuerst hatten sich Bekannte und Verwandte gemeldet, und uns mit Besuchen gedroht. Unsere ehemalige Nachbarin Frau Mayer rief dauernd an. Sie und Marianne waren ein unschlagbares Team im Quatschen. Nun blockierten sie dauernd unsere Telefonleitung. Hilde und Rudi kamen uns besuchen. Kamen ist nicht ganz richtig. Ich musste sie in Taucha abholen und wieder nach Hause bringen. Als mir das zu viel wurde, ging während eines Besuches das Auto kaputt. Die Beiden mussten mit der Bahn nach Hause fahren und wollten von uns das Fahrgeld haben. Da ich nicht mitspielte, ließen sie uns in Ruhe. Als sie dagewesen waren, brachten sie dauernd unsere Arbeitsteilung durcheinander. Wir hatten für uns Prioritäten gesetzt. Jeder hatte einen Teil der häuslichen Aufgaben zu erfüllen. Auch im Garten hatte jeder seine eigenen Aufgaben. Besucher, die länger als zwei Tage blieben, hatten sich einzugliedern.
Unser Haus hatte im Erdgeschoss eine große Wohnküche, Bad mit Toilette, eine Gästetoilette und zwei Wohnzimmer. Marianne war allerdings der Meinung, dass das größere Zimmer der „Salon“ war. Durch den Salon gelangte man auf die Terrasse. Sie hatte damals völlig ernst gesagt: „Kurt, da wir hochadlig sind, verkehren wir mit unseren Gästen im Salon.“ Zu diesem Blödsinn hatte ich geschwiegen. Als zu meinem Geburtstag kein Besuch kam, hatte ich mich solange gewundert, bis ich mit einem meiner alten Freunde telefoniert hatte. Er sagte am Telefon: „Ich komme nie mehr zu Deinem Geburtstag. Ihr seid ja übergeschnappt!“ Er schickte mir die Einladung die Marianne verbrochen hatte. Marianne hatte Einladungskarten drucken lassen und allen zugestellt. Ich war einem Tobsuchtsanfall nahe, als ich folgendes lesen musste: Kurt Freiherr Meran von Meranien und Gemahlin geben sich die Ehre, sie auf ihrem Wohnsitz Schloss Schweineck begrüßen zu dürfen! Nun war mir klar, warum keiner unserer Bekannten, außer Hilde und Rudi, ihre Drohung, uns zu besuchen war gemacht hatte.
Im Obergeschoss gab es ein Bad mit Toilette, unser Schlafzimmer, einen Ankleideraum, sehr nützlich für Mariannes tausend Kleider, und zwei ungenutzte Gästezimmer. Im Dachgeschoss hatte ich eine Bibliothek und einen Computerraum angelegt. Der Keller war Marianne allein vorbehalten. Im hinteren Teil des fünftausend Quadratmeter großen Gartens, stand ein ehemaliges Garagenhaus mit kleiner Wohnung. Dort hatte ich meine Werkstatt eingerichtet.
Ein paar Tage nach dem Gespräch über die Frustversicherung, läutete es an unserem Tor. Unsere Villa lag etwas einsam auf einer riesigen Waldwiese, umgeben von einer Mauer. Ich hatte einen glorreichen Gedanken gehabt, und ihn mit Hilfe des Forstbetriebes umgesetzt. Um die Mauer herum wurde ein breiter und tiefer Graben angelegt. Über den Graben führte eine Zugbrücke. Geschützt durch ein Außenwerk, mit zwei Türmchen. Dadurch ähnelte unser Grundstück einem befestigten Schloss. Die Forstarbeiter hatten eifrig beim Bau mitgemacht und eigene Gedanken zur Ausführung beigesteuert. Für alle, außer Marianne war es ein großer Spaß gewesen. Das Garagenhaus sah durch die vergitterten Fenster wie ein Gefängnis aus. Der Zugang zu unserem Gelände war nicht ganz ungefährlich. Wir hatten mehrere Schweinesuhlen angelegt. Die Wildschweine hatten sie freudig angenommen. Ich verstand mich ganz gut mit ihnen. Sie grunzten zur Begrüßung, wenn sie mich sahen. Der Förster hatte mit ernster Miene gesagt: „Die Schweine erkennen Ihresgleichen.“ Die Forstarbeiter hatten gegrinst. Ich wusste nicht so recht, was ich zu dieser Bemerkung sagen sollte. Fest stand, dass es in unserer Nähe keine ungebetenen Fremden gab. Der Zufahrtsweg zum Grundstück lag höher als die Suhlen und hatte an den Seiten Zäune. Fünfzig Meter vor dem Tor hatte ich breite Stahlroste in den Weg eingelassen. Für Schweine eine unpassierbare Barriere.
Nachdem der Besucher den Grund seines Läutens genannt hatte, drückte ich verschiedene Knöpfe. Öffnen des Außentores. Herablassen der Brücke. Öffnen des Tores in der Mauer. Dem haltenden Auto entstieg ein  Mann mittleren Alters.  Er war etwas blass um die Nase. Mehrere Wildschweine hatten den Weg zum Grundstück kontrolliert. Sie waren die vorgeschobenen Posten. Feindlich gesinnte Gäste erkannten sie und ließen sie nicht durch.
Der Mann war der Versicherungsfritze! Marianne hatte ihn ohne mein Wissen bestellt.
Nach einer kleinen Stärkung begann er unsere Versicherungsunterlagen, Marianne hatte alles bereitgelegt, durchzusehen. Er blätterte und blätterte und machte sich Notizen. Ich sagte kein Wort. Marianne auch nicht. Unter was für einem Vorwand sie ihn auch bestellt hatte, einmal musste sie ja von der „Frustversicherung“ anfangen.
Der Mensch war fertig. Er sagte mit anerkennendem Ton: „Herr und Frau Meran, eigentlich habe sie ja alles was sein sollte. Die Mauer und die Zugbrücke könnten noch versichert werden, und ich hätte ein paar kleine Verbesserungen anzubieten.“ Er redete über die „Verbesserungen“, aber die Prämienhöhe nannte er nicht. Erst als ich ungeduldig wurde kam er zum Preis. Die kleinen Verbesserungen schlugen so zu Buche, das ich überlegte, ob ihm ein kleiner Spaziergang in Begleitung der Schweine guttäte.
Als er meine Miene sah, sagte er sofort: „Das waren nur Anregungen, ich wollte sie das nur Wissen lassen.“ Und jetzt kam Mariannes große Stunde! Sie sagte laut und deutlich: „Herr Ring“, der Name passte gut zu der Versicherung, „wir haben sie hergebeten, um mit ihnen über die neue Versicherungsmöglichkeit, die Frustversicherung zu reden.“ Als sie „wir“ sagte, hatte ich ihr einen passablen Tritt versetzt. Herr Ring starrte Marianne an. Dann sah er zu mir. Ich zuckte mit den Schultern und sagte: „Meine Gattin hat davon gehört, und möchte nun kompetent beraten werden.“ Herr Ring sagte immer noch nichts. Es war still im Salon. So still, dass wir Männer das Geräusch hörten, das entstand, als Marianne sich ihr Schienbein massierte. Herr Ring holte mehrmals sehr tief Luft. Dann begann er über seine Versicherung zu sprechen. Er sprach langsam und artikuliert. In der fast einstündigen Rede kam das Wort –Frustversicherung- kein einziges Mal vor. Marianne sah ihn gespannt an. Ich grinste. Und dann explodierte der Herr. Er konnte sich einfach nicht mehr beherrschen. Brüllend beschwerte er sich mit ausgewählten Worten des Schulhofjargons. Mariannes Gesicht wurde immer länger. Ihre Gestalt schrumpfte. Ich stoppte den Mann schließlich und nahm ihn mit nach Nebenan. Hier verabreichte ich ihm einen großen Drink, nahm ihn mit zu einem Rundgang und zeigte ihm auch die lieben Wildschweine.
Er versprach mir, nie wieder zu uns zu kommen.
Am nächsten Tag erzählte ich den Forstarbeitern, dass bei der Versicherung des Herrn Ring die Frustversicherung im Sonderangebot wäre. Hätten sie Ärger zu Hause oder mit dem Förster, sollten sie das überaus günstige Angebot nutzen.
Einen Monat danach bekam ich Post aus Hamburg. Die Leute versprachen mir eine besonders günstige Absicherung, wenn ich ihren Namen nie wieder in den Mund nähme.

Kurt Meran von Meranien 16.09.2009  

*

Lächeln
Im Frühjahr 1995 zog ich nach Berlin -Tempelhof!
In unserem Haus im Bayernring in einer schönen Wohnanlage herrschte unter den Bewohnern ein friedliches Farben- und Rassengemisch.
In den 12 Wohnungen lebten mit mir 5 deutsche Familien. Dazu kamen Inder, Chinesen, Japaner, Afroamerikaner  und Türken. Ich beachtete sie nicht weiter. Lächelnd guten Tag und weiter nichts. So kamen wir ganz gut miteinander aus. Nur mein Nachbar, ein junger etwa 25 jähriger Berliner machte ständig Ärger.
Er bekam merkwürdigen Besuch, drehte ständig sein Radio auf Höchst-lautstärke, randalierte und hörte politisch anstößige Musik. Wegen ihm war die Polizei ständiger Gast im Haus. Als er eines abends wieder so einen Krach machte, dass ich keine Ruhe fand, ich musste zeitig raus, klopfte ich solange mit einem Hammer an seine Wohnungstür, bis er öffnete. Ich erwartete ihn, bewaffnet mit einer armlangen scharf geschliffenen Machete. Ich hielt ihm diese unter die Nase und drohte, ihm die Knochen spitz zu hacken, wenn er sein Radio nicht leise stelle und in Zukunft Ruhe hielt. Er erschrak so, dass ich seitdem ruhig schlafen konnte. Auf diese Weise im Haus für Ruhe gesorgt, die Polizei brauchte nie mehr zu kommen, wendete ich mich den Verhältnissen im Viertel zu.

Im Backshop des Supermarktes arbeitete eine junge Türkin. Ich kaufte bei ihr regelmäßig Kümmelbrötchen und Brot. Dabei wechselten wir öfters ein paar freundliche Worte.
Wenn ich sonntags mit meinem Dackel Gassi ging, nickte ich allen Leuten, denen ich begegnete, freundlich lächelnd zu. Lächeln kostet schließlich nichts.
Eines abends rammte ich beim Ausparken einen VW-Kombi. Ich stieg aus, besah mir den leichten Schaden an dem anderen Wagen und trat zu einer Gruppe Türken, die nicht weit entfernt stehend sich unterhielten. Ich grüßte freundlich und fragte, ob jemand von ihnen den Besitzer des silbernen VW-Kombis kenne. Einer der Türken sagte, der gehört mir. Kleinlaut erklärte ich, was passiert war. Er besah sich den Schaden. Ich entschuldigte mich und fragte, was er verlange. Er zuckte mit den Schultern, sagte, ich will nichts, kann doch passieren, klopfte mir leicht auf die Schultern, drehte sich um und ging wieder zu seiner Gruppe.
Als ich am nächsten Tag im Backshop meine Brötchen kaufte, packte mir die Türkin ein riesengroßes Stück Kuchen ein. Verdutzt fragte ich sie, was das solle. Sie lächelte und meinte, das ist für die Entschuldigung! Fragend sah ich sie an. Nun meinte sie, mein Bruder hat mir von dem Vorfall mit ihrem Auto erzählt. Sie sind der erste Deutsche, der nach dem Besitzer geforscht, und sich entschuldigt hat. Ich lud sie zu einem Kaffee ein, und schlug vor, den Kuchen gemeinsam zu essen. Sie erzählte von ihrer Familie, und zeigte sich über das Geschehen im Viertel gut informiert. Als ich ihr beschrieb, wie ich meinen Nachbarn ruhig gestellt hatte, lächelte sie. Von nun an, grüßten mich die Türken, die mich sonst nicht beachtet, oder nur verständnislos geguckt hatten, wenn ich ihnen zunickte.

An einem der nächsten Sonntage kam ich mit einem älteren Türken im Park ins Gespräch. Wir sprachen auch über die türkische Geschichte. Er war sehr erstaunt, dass ich wusste wer Osman der Erste war. Osman Bey war im 13. Jahrhundert vom kleinen Stammesführer zum Grenzfürsten und später zum Herrscher Anatoliens aufgestiegen und seine  Nachkommen hatten 700 Jahre die Türkei und große Teile Europas und Kleinasiens beherrscht.
Nun änderte sich das Verhältnis zwischen den Türken und mir grundlegend. Anstatt freundlich distanziert, verkehrten wir achtungsvoll miteinander. Wir lächelten uns nicht nur an, sondern unterhielten uns oft. Lachend verspottete ich ihr Verhalten beim Ramadan, und wir tranken auch  mal einen Raki oder anderen Schnaps zusammen. Mohammed hat zwar den Wein, aber nicht den Schnaps verboten!  

Auch das Verhalten zu den anders farbigen Mitbewohnern änderte sich. Mit den Indern sprach ich über Radschahs, Großmogulen und die Teilung Indiens 1947 in das hinduistische Indien und das muslimische Pakistan.
Mit den Schwarzen sprach ich über Amerika, wo ich mehrere Verwandte habe. Und mit den Chinesen über das Leben der Kaiserin Wu, der ersten und einzigen Kaiserin, die je in China selbständig regiert hatte. Mit den Japanern tauschte ich lächelnd Verbeugungen.

Als ich später wieder wegzog, boten sich mir soviel helfende Hände, dass ich anstatt einen, zehn Möbelwagen hätte beladen können!

Lächle, und du wirst überall Freunde finden!

Kurt Meran von Meranien 10. August 2007

 

***

Tante Ernas Geburtstag
Tante Erna hat Geburtstag. Der sechszigste Geburtstag. Was schenkt man einer ollen Tante, die alles hat? Jedes Jahr das gleiche Theater. Um die Hirne meiner Verwandten und Bekannten nicht zu überfordern, lasse ich mir entweder Mäuse oder gar nichts schenken. Besser als „echtsilberne“ Krawattennadeln, Ringelsöckchen oder Cognac. Cognac der keiner ist, sondern einmal neben einem echten gestanden hat.
Nachdem ich mir ewig den Kopf zerbrochen hatte, fasste ich mir ein Herz und fragte meine Tante: „Tante Erni, was wünschst Du Dir zu Deinem Geburtstag?“ Sie sah mich über ihre Brille schmulend erstaunt an. Nach einer Weile sagte sie bestimmt: „Nichts mein Kleiner!“ „Kleiner“ befand ich als ausgesprochen bösartig. Trotzdem ließ ich nicht locker. „Nun sag schon, Du wirst doch irgendeinen Wunsch haben. Vielleicht  neue Kuchenteller. Deine Klatschtanten gucken schon immer so komisch, wenn Du mit ihnen am Kaffeetisch sitzt.“ Klatschtanten hätte ich wohl besser nicht sagen sollen. Tante Erna schmollte. Dann platzte sie heraus: „Weist Du Kleiner, wenn Du mir wirklich etwas schenken willst, dann eine riesengroße Geburtstagstorte. Da kann ich mit meinen Freundinnen mal so richtig schlemmen! Außer ihnen kommt mich ja sowieso niemand besuchen.“ Ich war baff! „Eine Torte?“ „Ja eine Torte. Schön fettig und süß muss sie sein. Richtig lecker!“ Ich wusste nicht was ich sagen sollte. Erna hatte doch Zucker! Sie durfte gar keine Torte essen. Aber wenn sie unbedingt wollte?
Im Supermarkt wollte ich sie nicht kaufen. Das Zeug war tiefgekühlt, brauchte ewig zum Auftauen und schmeckte dann irgendwie komisch. Beim letzten Geburtstag meiner Schwester hatten wir halbaufgetauten Pflaumenkuchen zu lau schmeckenden Kaffee bekommen. Furchtbar. Beim Kuchenessen hatten sich die Kuchengabeln verbogen. Ich kaufte eine Riesentorte beim Konditor, wie sich das gehörte. Spezialanfertigung. Der Meister hatte zwar vor sich hin gegrunzt, als ich meine Wünsche bei der Bestellung äußerte, aber die Torte war noch besser gelungen, als ich gedacht hatte. Und ich hatte Tante Erna versprochen, den Kaffee selbst zu kochen.

Am Geburtstagsnachmittag, die Klatschtanten hatten sich vollzählig versammelt, servierte ich die Torte. Alles starrte auf die Torte. Tante Erni kamen die Tränen. Sie stand schwerfällig auf und umarmte mich. In der Mitte, mit unzähligen Sahnekringeln dekoriert, prangte ein Bild Ernas mit ihrer Katze auf dem Schoß. Dann schenkte ich den Kaffee ein. Ein allgemeines Aufstöhnen folgte dem ersten Schluck. „Kleiner, was ist das für Kaffee?“ „Eine Spezialanfertigung extra für Dich Tante. Das Rezept ist mein Geheimnis.“ Die Freundinnen stürzten sich auf die Köstlichkeiten.

Am nächsten Tag rief Tante Erna an: „Jungchen, meine Freundinnen meinen, dass war der schönste Geburtstag. Sie wollen auch so feiern. Alle wollen solche Torten haben und Du musst den Kaffee kochen!“

Gott schütz, das habe ich nicht verdient!

Kurt Meran von Meranien 04.12.2010

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Beiträge : Georg Hans Schlitte / Kurt Meran von Meranien

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