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                                                 Kurzgeschichten 12

 

ICH - Der Lehrfacharbeiter Deutsche Reichsbahn 1965

Ich habe gestern hier geschrieben, dass ich als Eisenbahn-Lehrfacharbeiter, Lehrlingen fachbezogene Aufgaben stellte. Später, als Bahnhofsvorsteher, wendete ich in der betrieblichen Weiterbildung meine Erfahrungen "verfeinert" an. Ein Beispiel.
Aufgabe für die Fahrkartenausgabe:
Familie Vogler aus Connewitz möchte in den Urlaub nach Beeskow fahren. Zur Familie gehören: Volker Vogler (Vater), Vanessa Vogler (Mutter), die 15-jährige Tochter Vera, der 9-jährige Sohn Walther, das 3-jährige Nesthäkchen Heike. Dazu der Schäferhund Wau, die Tigerkatze Mau, das Meerschweinchen Quick und der Kanarienvogel Piep. Die Familie will während der Schulferien, vom 12. Juli bis zum 26. Juli nach Beeskow fahren. Walther bleibt bei den Großeltern in Ferenneuendorf. Die Großeltern holen ihn von der Bahn ab. Auf der Rückfahrt nimmt die Familie Walther mit nach Hause.
Aufgabe: Fertigen Sie die entsprechenden Fahrausweise/Fahrkarten von Leipzig-Connewitz nach Beeskow und zurück für die einzelnen Familienmitglieder aus. Außerdem erstellen Sie die Vorschläge für Zugverbindungen am 12. und 26. Juli.
Normalerweise fuhr man von C. nach Beeskow über Berlin-Ostbahnhof. Da aber Sohnemann zu den Großeltern sollte, musste man zwischen Jüterbog und Königs-Wusterhausen die Verbindungsbahn benutzen.
In den Fahrkartenausgaben der großen Bahnhöfe wurden die Edisonschen-Fahrkarten, die sogenannten „Pappen“ ausgedruckt. Verbindungen die nicht gedruckt werden konnten, weil keine Druckmatritzen vorlagen, wurden per Hand auf Fahrkartenvordrucken ausgeschrieben. Um meine Aufgabe zu überprüfen, ging ich in Zivilkleidung zu einem der größeren Bahnhöfe und verlangte die Fahrkarten. Auf dem eigenen Bahnhof konnte ich das ja nicht machen, da ich dabei die „Karte“ verraten hätte.
Die Fahrkartenverkäufer mussten nicht nur die Fahrkarten ausfertigen, sondern auch nachsehen, welcher Bahnhof für den Ort Ferenneuendorf am günstigsten zu erreichen war. Die normalen Fahrkartenausgaben streikten und schickten mich zum Schalter für handgeschriebene Fahrkarten. Die streikten auch und schickten mich zum Lehrschalter. Der Lehrling war vollkommen hilflos und die Lehrfacharbeiterin ebenfalls. Der Gruppenleiter wurde geholt. Dann kam der Abteilungsleiter. Der Schalter wurde geschlossen und nach etwa einer Stunde hätte ich die Fahrkarten und Fahrpläne bekommen können, wenn mir nicht „eingefallen“ wäre, dass ich mich erstens im Datum geirrt hatte und zweitens gar nicht so viel Geld dabei hatte.
Die Sache hatte zwei positive und ein negatives Nachspiel.
Negativ war, dass die Lehrlinge in der Schule darüber sprachen und der Vorsteher des großen Bahnhofs natürlich erfuhr, wer an dem Schalter die Fahrkarten verlangt hatte. In allen Fahrkartenausgaben des Dienstortes hing nun meine Personenbeschreibung, incl. Tätigkeit und Dienstrang.
Positiv war erstens, dass sich, als ich Bahnhofsvorsteher war, ihrerseits meine Lehrfacharbeiter, nachdem sie sich von ihrem Entsetzen über meine Initiativen erholt hatten, für ihre Lehrlinge ähnliche Aufgaben ausdachten und zweitens, dass mich der Amtsvorstand belobigte.
Kurt Meran 1965
***

An einem Samstagnachmittag ging ich im Mariannenpark in Schönefeld spazieren. Bei diesem Spaziergang traf ich zwei nette Damen. Nach einem kurzen Wortwechsel schloss ich mich ihnen an. Eine der Damen lud mich später für den nächsten Tag zum Kaffee ein. Ich besorgte mir Blumen, und ging am nächsten Nachmittag zeitig los.
Viel zu zeitig!
Als ich an der Wohnungstür klingelte, kam von irgendwoher der Ruf: Es ist offen! Ich trat also ein. Aus dem Bad kam ein weiterer Ruf. „Bring mir doch bitte das Badehandtuch, das auf dem Bett liegt.“ Ich schnappte das Tuch und ging ins Bad. Etwas verblüfft sah ich, wie meine Bekanntschaft mir den Rücken zudrehend, gerade in die Wanne stieg. Als sie drin war, fragte sie: „Hast du das Tuch gefunden?“ „Ja “. Sie stand starr! Dann drehte sie sich um, die Hände vor die Brüste und den Schoß haltend. Ich reichte ihr lächelnd die Blumen. Sie verdrehte ihre Augen und meinte, sie könne die Blumen jetzt nicht nehmen, da sie ja nackt sei. Ich fragte: „Warum halten sie die Hände vor den Leib?“ Griff nach diesen und zog sie gegen ihren Widerstand zur Seite. Sie betrachtend, fragte ich: „Warum verdecken sie denn diese schönen Sachen? Ich sehe mir gern solche tollen Dinge an.“ Dann drehte ich einfach die Dusche auf. „Damit es weiter geht“, bemerkte ich, und begann sie einzuseifen. Vollkommen verdutzt ließ es zu. Ich begann mit dem Hals und arbeitete mich langsam immer weiter in Richtung Wannenboden vor. Dabei massierte ich mehr, als ich wusch. Als ich sie bis zum Nabel, Rücken und Po gewaschen hatte, wendete ich mich den Füßen zu. Bei den Knöcheln beginnend, wusch und massierte ich mit meinen seifigen Händen die Beine in Richtung Schoß. Während der ganzen Zeit, sagte die badende Venus kein Wort. Sie stöhnte erst leise und dann immer lauter. Schließlich waren beide Beine gewaschen. Ich half ihr aus der Wanne. Als ihr rechtes Bein auf dem Fußboden stand, stoppte ich sie. Das linke Bein war noch im Wasser. Auf diese Weise konnte sie ihre Beine nicht schließen, und ich bearbeitete jetzt das, was noch übrig war.
Sie verlangte stöhnend, die Wanne ganz verlassen zu dürfen. Ich achtete gar nicht auf ihre Worte. Auch nicht, als sie begann mit ihren Fäusten an meinen Schultern Unfug zu treiben. Sie umklammerte meine Hals. Ich hatte schon Angst, sie würde mich würgen.

Es klingelte.

Sie blickte zur Uhr. Murmelte: „Inge.“ Und sprang in ihre Sachen!
Das einzelne Klingeln wurde zum Dauerton. Ich ging ins Wohnzimmer und sie zur Tür. Auf dem Korridor zankten sich die Frauen. Scheinbar war meine Bekanntschaft nicht schnell genug beim Türöffnen gewesen!

Als Inge eintrat stutzte sie, als sie mich sah. Sie sagte: „Moni hat gebadet und sie sitzen hier?“ Unschuldig fragte ich: „Wer ist Moni? Und was sagten sie von Baden?“ Sie antwortete erstaunt: „Na hier, meine Freundin. Wir sind doch in ihrer Wohnung!“ „Wieso badet sie, ich denke sie ist fertig?“ „Ja, aber vorhin hat sie gebadet!“ „Und was hat das mit mir zu tun?“ Sie wurde plötzlich rot und fragte etwas stotternd: „Und sie haben ihr nicht geholfen?“ „Na hören sie mal“, sagte ich laut und empört! „Wo leben wir denn? Ich habe sie doch gestern erst kennen gelernt! Wie schätzen sie mich denn ein?“

Moni kam mit einem riesigen Kuchenteller und einer Kaffeekanne ins Zimmer. „Worum geht es“, fragte sie? Ich sagte, immer noch sehr empört und ungnädig: „Stellen sie sich vor, ihre Freundin wollte, dass ich ihnen den Rücken wasche!“ „Das habe ich gar nicht gesagt“, meldete sich diese. Ich fuhr einfach fort. „Sie haben angenommen, dass ich ein Hallodri bin, Situationen ausnutze und mich auf nackte Frauen stürze, die hilflos in der Wanne sind! Sie würden es wohl gern sehen, wenn ich das bei ihnen machen würde?“
Knallrot fuhr sie ihre Krallen aus!

Ich stand auf, verbeugte mich großartig vor den Damen, sagte: „Eine Frau ist toll, aber zwei sind eine Zumutung." Und wollte gehen. Moni sagte: „Setzen Sie sich wieder. Wir essen jetzt den Kuchen auf. Allein schaffen wir das nicht. Es gibt auch noch Eis, lockte sie mich, als ich unschlüssig wurde. Resignation vortäuschend blieb ich.
Wir wurden ein gutes Dreiergespann. Ich kam zu den Besuchen immer etwas zeitiger als vorgesehen. Es blieb nicht nur bei dem Einseifen.

Kurt Meran von Meranien 17.07.2010

***

Pilze

Als ich das zweite Mal in Behrensdorf am Glubigsee im Urlaub war, erlebte ich ein paar kleine Abenteuer.Wie beim vorigen Mal hatte ich ein heimeigenes Ruderboot gemietet. Zwischen den Mahlzeiten ging es aufs Wasser. Das Boot fasste fünf Personen und das Rudern war recht anstrengend. Alle kannten mich recht bald. Ich hatte jeden Tag meine beige Cordhose und das karierte Wollhemd an, da es doch für die Jahreszeit recht kühl war.
Nach zwei Tagen baten mich ein paar Frauen, ob ich sie nicht mitnehmen könne.
Am vierten Tag war es relativ warm, und als gleich alle drei Frauen zum Bootssteg kamen, sagte ich laut: „Die Sonne muss man nutzen. Ich fahre heute ins Schilf und mache FKK.“ Zwei der Frauen drehten daraufhin ab. Die Jüngste lächelte und kam ins Boot.
Mir war die Sache zwar nicht ganz geheuer, aber zurück konnte ich nicht. Also ruderte ich dahin, wo es ein größeres Schilfstück gab. Im Schilf angekommen, begann ich mich langsam auszuziehen. Die junge Frau sah mich an sagte: „Bilden sie sich ja nichts ein! Keine Annäherungsversuche und keine Frechheiten!“ Und zog sich auch aus. Im Jahr 1967 war das ganz schön mutig. Die Sittenwächter sahen so etwas sehr sehr ungern.
Mehrmals fuhren wir nun ins Schilf. Manchmal brachte die junge Frau eine Freundin mit.
Einmal war ich vormittags mit den zwei jungen Frauen unterwegs, ruderte und durfte mich nicht umdrehen. Als sich das am Nachmittag wiederholte, drehte ich mich um und musterte beide aufmerksam. Sie kreischten und versuchten, sich mit beiden Händen zu bedecken. Ich fragte sie deshalb, was sie eigentlich hatten. Wollten sie angesehen werden oder nicht?
Nach dem Mittagessen hatte ich zufällig gehört, wie die eine sagte: „Der Trottel hat nicht ein einziges Mal den Versuch gemacht, sich umzudrehen.“ Die Andere sagte: „Brauchte er ja auch nicht, wir haben ihm schließlich die Richtung angegeben.“ Worauf die Erste sagte: „Du bist genauso blöd wie er.“ Meine Frage beantwortete keine. Sie waren plötzlich still. Dann meinten sie, ich könne mich jetzt ausruhen, sie würden rudern. Da sie ungleichmäßig ruderten, fuhren wir Schlangenlinien und schaukelten hin und her. Ich machte den Vorschlag alleine zu rudern. Vorher würde ich sie aber mit Sonnenschutz eincremen, da sie schon recht rot wären. Jetzt fing das Gekreische wieder an. „Sie wollen uns bloß unsittlich anfassen. Das werden wir melden!“

An den nächsten Tage brach ich beleidigt sehr zeitig auf, um das Boot für mich allein zu haben.
Eines Tages, ich fuhr durch ein Fließ, bemerkte ich auf dem parallelen Weg eine ältere und eine junge Frau. Beide riefen mir zu, ans Ufer zu kommen. Die Jüngere stieg zu mir ins Boot. Wir fuhren zum letzten See. Am Ufer sahen wir zum Picknick einladende ortsfeste Tische und Bänke. Die Frau meinte, wir könnten hier Pause machen sie habe was zu Essen einstecken. Also machten wir es uns am Ufer gemütlich. Mitten in der schönsten Unterhaltung kreischten plötzlich Bremsen. Ein Jeep. MP. Wir brachten unsere Kleidung einigermaßen in Ordnung. Dann kamen ein Leutnant und zwei Mann und fragten uns aus. Es stellte sich heraus, dass wir uns in militärischem Sperrgebiet befanden. Der Offizier belehrte uns sehr nachdrücklich darüber, dass das Betreten des Ufers verboten war. Ich sagte nichts. Meine Begleiterin dafür umso mehr. Als wir den See verlassen hatten, fragte sie, warum ich nichts gesagt hatte. „Wieso waren sie so still?“ Ich wollte es erklären, kam aber nicht zu Wort. Als wir fast am Bootssteg waren, meinte sie: „Sie sind ein Feigling mit Ihnen fahre ich nicht wieder mit!“ Endlich bekam ich Gelegenheit, auch etwas zu sagen. „Sie haben sich doch alle gestern gewundert, dass ich so viele Pilze hatte. Die habe ich in militärischem Sperrgebiet gefunden. Deshalb habe ich nichts gesagt. Was denken sie denn, was passiert, wenn rauskommt, dass ich schon wieder im Sperrgebiet gewesen bin?“ Verdutzt sah sie mich an.
Ihr Mund stand weit auf, was irgendwie lächerlich wirkte.

„Hören Sie zu!“
 Ich war allein spazieren gegangen. Wenn ich mit den Frauen, die ich mit dem Boot mitnahm, zwischendurch spazieren gegangen war, hatten sie immer Beutel und Tüten mit. Pilze suchen. Als vollkommener Pilzlaie kannte ich nur Maronen, Pfifferlinge und Fliegenpilze. Die Frauen versuchten mir weitere Pilzkenntnisse zu vermitteln. Fast alle Urlauber suchten Pilze. Ein Handwerkerehepaar aus Delitzsch fuhr mehrmals mit ihrem Wartburgkombi nach Hause, um die gesammelten Pilze heimzuschaffen. Die waren so gierig, dass sie von den anderen Urlaubern sogar die Putzabfälle einsammelten.Als ich den Tag allein im Wald gewesen war hatte ich nichts mit Pilzen am Hut. Ich spazierte quer durch den Wald auf einem schmalen Pfad entlang. Über einen Bahnübergang, der mit einem halbverfallenen Andreaskreuz gekennzeichnet war, kam ich in ein verwildertes mit schütterem Unterholz und einzelnen Baumgruppen bewachsenes Gebiet. Da standen Pilze. Massenhaft! Ich konnte mir aussuchen was ich wollte! Zuerst die Taschen voll. Dann zog ich mein Hemd aus und verknotete die Ärmel. Dann band ich mit dünnen Zweigen meine Hosenbeine unten zu und füllte die Hose. Ich war ganz allein. Der Pfad ging immer weiter. Aber einmal war Schluss. Ich stand vor einem Stacheldrahtzaun. Laufen konnte ich sowie so kaum noch. Die Richtung stimmte. Wieso war hier ein breiter Stacheldrahtzaun?
Ich überlegte, was ich machen sollte, den ganzen weiten Weg zurücklaufen? Nein.
Verzweifelt suchte ich nach einem Ausweg. An einer Stelle waren einzelne Drähte stark verrostet. Ich legte die Pilze auf einen Haufen damit ich mich besser bewegen konnte. Mit einem abgebrochenen Ast versuchte ich die Drähte auseinander zu biegen. Mit einem weiteren Ast hatte ich Glück.
Kroch dann mehrmals hin und her. Meine Pilze wollte ich nicht im Stich lassen. Ganz schön zerkratzt stand ich schließlich im Freien. Der Heimmarsch wurde zur Qual.

Am Abend machte mir der Koch ein riesiges Pilzomelett.

Die junge Frau hatte atemlos zugehört. „Ich will auch so schöne und große Pilze haben. Morgen Früh, ganz zeitig gehen wir dorthin. Wir nehmen einen alten Sack mit.“
Ich fragte, an eine Belohnung denkend: „Und?“ „Du darfst ihn tragen.“

Meine Lippen waren versiegelt.

Kurt Meran 19.07.2010

***

Wäsche

Gestern wollte ich Bettdecke und Kopfkissen neu beziehen. Fand aber keinen Kopfkissenbezug. Also sah ich heute im Wäscheschrank nach.

Meine Kleidung und Wäsche lagert in verschiedenen Behältnissen: Begehbarer Kleiderschrank, Wäscheschrank und Bettkasten. Im Kleiderschrank brauchte ich nicht nachsehen. Deshalb hatte ich gestern oberflächlich in den Wäscheschrank geguckt.

Heute wollte ich es WISSEN!

Ei verflu …

Ich räumte den Bettkasten und den Wäscheschrank erst einmal aus. IRRE!

Während ich dringlich notwendiges kaufe, richteten sich meine Schwestern nach Sonderangeboten. Ob ich da was brauchte oder nicht, war egal: Angebote mussten genutzt werden! Ich fand so etwas nutzloses, wie Platzdeckchen, Untersetzer, riesenlange Schals, Tischdecken, lange Unterhosen und und und.

Zu jedem Fest bekam ich von jeder Schwester eine große Packung MonCheri und eine Flache Chantré (Du ißt zwar keine Schokolade, aber MonCherie ist Halbbitter, die kannst Du Essen. Und der Chantré ist weich, den kannst Du trinken). Und wehe, ich hatte zum Kaffeetrinken keine Platzdeckchen auf dem Kacheltisch!

Unter den Fundstücken war auch wichtiges: Die schon lange vermisste Presseschutzweste und das Presse T-Shirt.

Dann warf ich die Waschmaschine an und befüllte vorläufig Wäscheschrank und Bettkasten. Ich weisss nun, was ich alles habe und wo es sich aufhalten könnte.

ICH habe viel mehr Kleidung, als ich wirklich brauche.

Aber ob mir die Kleiderkammer lange Unterhosen abnehmen wird …

Kurt Meran

10.01.2022

***

Zirkuszug
Ich hatte Dienst auf dem Stellwerk II des Bahnhofs Leipzig – W. Von Ost kam auf dem Gleis einhundert ein durchgehender Sonder - Güterzug nach Rostock. Der Oberstellwerksmeister vom Befehlsstellwerk Ost rief mich an und sagte: „Langer pass auf, das ist ein Zirkuszug. An der Spitze des Zuges laufen zwei Personenwagen. In diesen Wagen sind jede Menge hübsche halbnackte Frauen. Die musst du dir unbedingt ansehen.“
Ich fluchte. Mein Stellwerk war nicht so hoch, dass ich bei der Vorbeifahrt in die Wagenfenster sehen konnte. Als mir der Kollege vom Stellwerk IV den Zug ankündigte, fasste ich einen Entschluss. Eigentlich musste der Zug bei mir, entsprechend der Bahnhofsvorschrift, halten. Ich meldete dem Fahrdienstleiter West den Zug, und stellte mein Signal auf freie Fahrt. Das Gleis lag zwischen dem Stellwerk IV und dem Stellwerk II in einem weiten Linksbogen. Auf der rechten Seite war der Kohlenbansen des Bahnbetriebswerkes. Der Kohlenbansen war dicht am Gleis, hatte eine drei Meter hohe Mauer und das Bauwerk endete etwa dreihundertundfünfzig Meter vor meinem Signal. Der Lokführer, der Zug war mit einer Dampflokomotive bespannt, hatte durch den Bogen und den Kohlenbansen eine sehr schlechte Sicht. Da mein Signal nicht bahnhofsblockabhängig war, sondern frei beweglich, konnte ich meinen Plan ausführen!
Ungefähr in der Mitte des Bogens konnte der Lokheizer die Stellung des Signals erkennen, und dem Lokführer „Durchfahrt entsperrt“ melden. Der Zug wurde etwas schneller. Als ich sah, dass die Lokomotive im toten Winkel war, legte ich das Signal in Haltstellung. Als die Spitze des Zuges fast am Ende des Kohlenbansen war, sah der Lokführer jetzt das Halt zeigende Signal. Der Zug fuhr mit ungefähr fünfzig Kilometer in der Stunde und der Lokführer leitete sofort eine Schnellbremsung ein! Als ich sah wie die Funken sprühten, stellte ich das Signal wieder in Fahrtstellung zurück und kletterte auf das Dach des Stellwerkes. Als der bremsende Zug an mir vorbei schlitterte, sah ich zu wie Frauen und Männer halbnackt und nackt, durch die Wagen taumelten und aufgeregt an den Fenstern standen, sich überall festhaltend. Ich kletterte schnell vom Dach und rannte zur Lok. Dort fragte ich den Lokführer, warum er angehalten hätte. Da das Bahnhofsausfahrsignal in Fahrtstellung war, brüllte ich den Lokführer an: „Wenn du nicht gleich losfährst, dann stelle ich das Signal auf Halt, denn auf dem durchgehenden Hauptgleis, kommt gleich der D-Zug. Beeile dich gefälligst!“ Das stimmte zwar nicht, aber es zeigte Wirkung! Der Zug ruckte so heftig an, dass die Zirkusleute gleich wieder durcheinander purzelten.

Eine Woche später bekam ich auf dem Stellwerk Besuch von dem Lokpersonal. Ich sollte einen Streit schlichten. Lokführer und Heizer stritten sich darüber, wer Tomaten auf den Augen gehabt hatte. Ich bat sie hinaus zu gehen. Als sie vor meinem Fenster standen, verriegelte ich die Tür und gestand ihnen mein Vorgehen. Nach einem Tobsuchtsanfall, die Hunde warfen mit Schotter nach mir, einigten wir uns dahin gehend, dass ich sie nach Dienstschluss in eine nahe liegende Gaststätte einlud.

Seitdem war ich bei allen Eisenbahnern Leipzigs unter einem Spitznamen bekannt, der mir noch anhing, als ich fünfundzwanzig Jahre später Bahnhofsvorsteher war.

Kurt Meran  21.01.2011

***

Blond

Es war wieder einmal soweit. Das große Radrennen aller Altersklassen. Ich hatte mir einen guten Platz am Rande der Strecke ausgesucht. Stand im Schatten und die Fahrer fuhren über freies vollsonniges Terrain. Das mussten tolle Bilder werden. Allerdings hatte ich übersehen, dass diesen Platz auch noch andere haben wollten. Ich musste weichen und „meine“ Fahrer fuhren jetzt im Schatten. Eine Fahrerin viel mir auf. Schlank, blond! Als ich sie das erste Mal vor die Linse bekam, lachte sie noch. Sie richtete sich sogar auf. Ich konnte sie ganzkörperlich auf den „Film“ bannen. Bald suchte ich mir einen anderen Platz. Ich wechselte mehrmals den Standort. Schließlich hatte ich den idealen Platz gefunden. Es ging leicht bergauf. Jüngere mussten sich ganz schön anstrengen. Ich hatte die Blonde schon mehrmals aufgenommen und jetzt an der Steigung mussten die Bilder besonders ausdrucksstark werden. Als ich sie das zweite und dritte Mal fotografiert hatte, hatte sie nicht mehr gelacht und ihre Miene erstarrte, wenn sie mich bemerkte.

Ich sah sie schon von weitem und machte meinen Apparat klar. Blende, Belichtung. Alles klappte. Nur das Bild nicht. Als sie mich sah, fuhr sie an den Rand in den Schatten, so weit wie möglich von mir entfernt. Dabei kollidierte sie fast mit einem niedrigen ausladenden Ast und musste sich tief bücken. Als sie dann auf meiner Höhe war, schossen ihre Augen Blitze und das Gesicht war regelrecht verzerrt. Ich konnte ihre Wut verstehen. Durch ihr Ausweichmanöver war sie weit zurückgefallen.

Ich suchte einen neuen Standplatz. Und dann kam sie rasend schnell auf mich zu. Neben ihr eine andere Frau, die kaum dem Tempo der Blonden gewachsen war. Kurz bevor ich abdrücken konnte, sah Blondi zur Seite. Das war wieder nichts geworden. So ein Mist. Von dem Dutzend Bildern, die ich von ihr gemacht hatte, waren nur zwei zu gebrauchen.

Nach dem Rennen schlenderte ich über das Gelände. Überall gab es etwas zu sehen. Viele Stände mit Erfrischungen lockten. In einer Ecke war ein großer Grill. Die Bratwürste schmeckten so gut, dass ich mehrere verdrückte. Dann sah ich SIE! Blondi stand mit einer ganzen Gruppe Frauen am großen Zelt. Eigentlich wollte ich die Frauen mit einem Witz ansprechen und sie fotografieren. Aber die Blonde sagte etwas und alle Frauen starrten mich an. Gleichgültigkeit heuchelnd ging ich wortlos vorüber. Innerlich verfluchte ich meine Feigheit.

Als dieses Jahr das Rennen stattfand, war ich natürlich wieder dort. Leider fuhr Blondi nicht mit. Sie tauchte erst viel später mit einem Mann auf. Als sie mich sah, sagte sie etwas zu ihm und nickte in meine Richtung. Der sah mich kurz an, sagte aber nichts. Ich verzog mich ins Haus zu einem interessanten Vortrag. Zu Hause recherchierte ich im Internet. Es war nicht schwer Namen und Beruf herauszufinden. Das machte ich ohne besondere Absicht. Nur ein bisschen Interesse. Ich sah sie einfach gern. Sprechen konnte ich mit niemanden darüber. Meine Ex hätte bestimmt gefragt, ob bei mir der dritte Frühling ausgebrochen wäre. Schließlich hätte Blondi fast meine Urenkelin sein können.

Auf der anderen Seite, warum sollte man eine junge, hübsche Frau nicht ansehen und ein bisschen träumen dürfen?

Alleinsein ist wie ein zweischneidiges Schwert. Einerseits ist Mann froh, wenn er dem ewigen Gemeckre einer, seiner Frau entkommen ist, andererseits muss er alles selbst machen, kann sich mit niemand beraten und ist manchmal sehr, sehr einsam.

Kurt Meran 17.09.2014

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Kurt Meran von Meranien

 

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