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                                                      ERINNERUNGEN
                                                            Im Westen
Ich war da! Zum ersten Mal war ich im Westen. Staunend besichtigte ich das Grundstück meiner Schwester Sofie. Ein riesiger Garten mit einer zweistöckigen Villa. Hier musste Geld sein. Ich hatte eine Woche eingeplant. Von mir aus konnten es auch mehrere Wochen sein. Ich wollte den Westen, das Wohlsein genießen.
Ich war die ganze Nacht und den Morgen gefahren und hatte riesigen Hunger. Mein Magen hing in den Kniekehlen, wie man so sagt. In der Wohnküche war für zwei Personen gedeckt. Klaus, mein Großneffe war noch auf Arbeit. In der Mitte des Tisches stand eine kleine Schüssel mit Gulasch. Auf einem Tellerchen lagen drei mittelgroße Kartoffeln. Meine Schwester nahm sich eine der Kartoffeln und eine Kelle Gulasch. Ich tat die beiden anderen Kartoffeln auf meinen Teller, schüttete den restlichen Gulasch darüber und wollte essen.  Sofie fragte wütend: „Was machst Du da?“ „Ich esse.“ „Du kannst Dir doch nicht alle Kartoffeln und den ganzen Gulasch nehmen. Was soll denn Klaus essen? Eine Kartoffel und ein Teil des Gulasch ist für ihn!“ Das bisschen konnte doch nicht das ganze Mittagessen für drei erwachsene Personen sein. Das sagte ich auch. Sofie konnte es nicht fassen. „Du bist wohl ein Vielfraß? Wir essen nicht so viel. Scheinst Dich hier mästen zu wollen." Das stimmte gar nicht. Ich wollte mich nicht mästen. Da ich auf meiner Fahrt nichts weiter gegessen hatte, war das Mittagessen quasi mein Frühstück. Noch während Sofie schimpfte war ich fertig. Auf dem Tellerchen lag einsam und verlassen die dritte Kartoffel. Die ich natürlich unangetastet wieder zurückgetan hatte. Vergebens spähte ich nach einem Nachtisch, es gab keinen.
 
Danach suchte ich das Gästezimmer in der ersten Etage auf und legte mich hin. Da mir die Luft nicht gefiel, hatte ich vorher das stählerne Rollo hochgezogen und das Fenster weit geöffnet. Ich erwachte durch ein wildes Schütteln. Sofie stand zornbebend vor mir: „Wer hat Dir erlaubt, das Fenster aufzumachen?“ „Keine Angst. Im ersten Stock wird doch keiner Einsteigen.“ Sie schloss das Fenster und knurrte: „Hier bleibt das Rollo unten und es werden die Fenster nicht geöffnet. Wenn es unbedingt sein muss, dann wird das Rollo etwas hochgezogen. Die Luft die durch die Ritzen kommt genügt zum Lüften.“ Danach belehrte sie mich nachfrücklich. „Erstens. Wir heizen mit Gas. Gas ist teuer. Langes Lüften kühlt die Räume aus und wir verbrauchen zu viel Gas. Zweitens. Bei hochgezogenen Rollladen werden die Fenster zu schnell schmutzig.  Zynisch ergänzte ich: „Und drittens, wenn die Fenster nie offen sind, wird das Mauerwerk feucht!“

Nachdem ich am nächsten Morgen kräftig gefrühstückt hatte, es gab zwei dünne Schnitten mit Margarine, fuhr ich mit dem Bus in die Stadt und kaufte für mich Proviant ein.

Später sah ich mich auf dem Grundstück um. Im Vorgarten stand eine riesige Tanne. An der Hauswand lehnte eine Gartenbank und davor stand ein runder Tisch. Vom weitem sah alles toll aus, aber dann stellte ich fest, dass das Emsemble reparaturbedürftig war.
Ich wollte mich für das wunderbare Begrüßungsessen revanchieren und Bank und Tisch reparieren. Meine Schwester freute sich. Mein Großneffe der hier bei der Oma lebte, hatte bis jetzt keinen Mucks von sich gegeben. Als ich nach Werkzeug fragte, meinte sie: "Das ist im Gartenhaus, aber da komt niemand rein. " Ich sah es mir an. Das Häuschen war mit einer beweglichen schwarzen Masse bedeckt. Spinnengangerballen. Während ich überlegte wie ich da hineinkam, schickten die Spinnen Kundschafter. Ich trat zurück. Ein Stoßtrupp folgte mir etwa 5 Meter. Was tun? In der Siedlung gab es eine Schlosserwerkstatt. Handwerkszeug wollten sie mir nicht kostenlos leihen. Ich fragte nach einem Schneidbrenner und sagte auch wofür. Die Handwerker schlossen Wetten ab, ob ein Ossi fertigbrachte, was sie nicht geschafft hatten. In diese Laube kommt niemand. Ich beteiligte mich an der Wette und sollte bei Gewinn, jetzt und später kostenlos Handwerkszeug ausleihen können.
Mit dem Schneidbrenner schlug ich alle Angriffe der Spinnen zurück, öffnete die Tür und stand vor dem mit Spinnen gefüllten Inneren. Der Schneidbrenner nutzt mir  hier nichts. Und nun fragten alle? Wir Ossis sind gewöhnt zu improvisieren. Außerdem. Wir haben es trotz aller Widerstände geschafft, in der BRD anzukommen. Da werde ich doch nicht vor simplen Spinnen kapitulieren! In der Stadt besorgte ich mir Teebaumöl. Schaffte in der Laube mit dem Brenner eine Lücke im Gewühl. Dann stellte ich eine Blechbüchse mit dem Inhalt von 10 Flaschen Teebaumöl hinein, schloß die Tür und ergriff die Flucht. Mit dem Brenner deckte ich meinen Rückzug. Die vielen Zuschauer waren schon vorher verschwunden. Teebaumöl vertreibt nicht nur Insekten sondern auch Menschen.

Nach drei Tagen näherte ich mich vorsichtig der Hütte. Sie kam mir seltsam tot vor. Die Spinnen waren weg. Als ich vorsichtig das Häuschen betrat, war es leer. Nur die Möbel und das schwere Handwerkszeug waren in der blitzsauberen Hütte geblieben.

Nun konnte ich Bank und Tisch reparieren. Bis heute ist mir unklar wo das leichte Handwerkszeug geblieben ist. Hatten die Spinnen es mitgenommen und wer hatte geputzt?

Kurt Meran von Meranien 02.05.2013
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Beiträge : Georg Hans Schlitte / Kurzgeschichten: Kurt Meran von Meranien

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