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                                                Dagoperth erzählt II    

Schrecklich!

Normaler Weise findet in unserer Gartenanlage jedes Jahr im Juli eine Gartenbegehung durch den Vorstand statt. Die beteiligten Vorstandsmitglieder listen dabei alle Abweichungen von dem vorgegebenen „Standard“ auf. Was Standard ist bestimmt der Vorstand. Er richtet sich dabei weder nach dem Bundeskleingartengesetz noch nach der Kleingartenordnung des übergeordneten Vorstandes. In unserer Stadt hat der Kreisvorstand eine Kleingartenordnung beschlossen, die in allen angeschlossenen Kleingärtnervereinen und deren Kleingärten gilt. Die Gartenvereine können auf der Grundlage dieser Kleingartenordnung eine eigene Kleingartenordnung beschließen. Ob das andere Kleingärtnervereine machen, weis ich nicht. Unser Kleingartenverein hat keine eigene Kleingartenordnung. Entweder ist der Vorstand dazu nicht in der Lage, oder…? Er hat nur ein paar Ergänzungen mit merkwürdigen Formulierungen beigelegt. Z.B. Punkt…wird voll anerkannt!
Da die Kleingartenordnung für alle Gartenvereine gilt, müssen die Paragraphen ja automatisch anerkannt werden. Der Zusatz ist also Blödsinn. Aber mit dem Vorstand streiten ist sinnlos.
Es gibt sogar eine standesgemäße Unterscheidung zwischen Vorstandsmitgliedern und Nichtvorstandsmitgliedern. Die Vorstandsmitglieder werden mit „Frau“ oder „Herr“ angeredet, die Nichtvorstandsmitglieder mit „Gartenfreundin“ oder „Gartenfreund“! Bei Aushängen in den Schaukästen sieht man dann zB folgendes: ‚Liebe Gartenfreundinnen und Gartenfreunde! Zugang zu den Elektrokästen hat nur Herr Mayer‘!
Zurück zu den Gartenbegehungen. Da ich mehrmals angezählt worden war beendete ich immer Mitte Juni meine Aktivitäten im Garten. Wenn die Fehlerliste im Schaukasten erschien, wusste ich genau, was ich falsch gemacht hatte. Mir wurde konkret aufgezeigt, was ich als nächstes tun musste!

Dieses Jahr wurde ich überrascht.
Der Vorstand führte seine Gartenbegehung schon Anfang Juni durch! Als ich Ende Juni im Schaukasten die Fehlerliste entdeckte (die Auswertung der Gartenbegehung dauert immer sehr lange, die aufgezeigten Missstände müssen daher kurzfristig beseitigt werden), war ich zutiefst erschrocken! Schreckliches war passiert! Mein Garten wurde vergessen! Er wurde gar nicht erwähnt! Ich weis nun gar nicht, was ich in der nächsten Zeit zu tun habe! HILFE! Was mach ich nun bloß? Wer kann mir raten? Sollte ich mich wegen Missachtung beschweren? Oder? Heidi meine Supergattin meinte zwar, ich solle mich nicht aufregen. Sie ging sogar soweit, zu behaupten, dass ich alles richtig im Garten gemacht habe. Da kann doch etwas nicht stimmen! Seit wann sind Frauen mit dem was ihre Männer tun einverstanden? Und was ist mit dem Vorstand passiert?

Bis neulich.

*

Die Versicherungstante

Vor vier Wochen tagte unser Familienrat, bestehend aus Cora unserer Jüngsten, Jana dem Teenager, Heidi meiner Supergattin und mir, dem Familienoberhaupt. Einberufen wurde der Rat von Heidi. Statthaft war das nicht gewesen. Ich bin der Herr in der Familie. Trotzdem denkt Heidi immer, sie könnte bestimmen. Wenn Heidi einen bestimmten Gedanken durchsetzen will, hetzt sie immer Jana und Cora auf, sich mit ihr zu verbinden. Wenn das klappt, habe ich keine Chancen mehr. Ich ergab mich in mein Schicksal und hörte mir die klugen Gedanken, gefasst in schnippische Satzfetzen, an. Heidi hatte sich, natürlich ohne mich zu fragen, an ein Finanzinstitut gewandt, um unsere Versicherungen überprüfen zu lassen. Wir konnten also nur noch zustimmen.
Eine sexy gestylte Dame mittleren Alters überprüfte. Bevor sie anfing kassierte sie erst einmal sechzig Euros. Sozusagen als Pfand, wie sie bemerkte. „Eigentlich sollte die Beratung doch kostenlos sein“, sagte ich. Sie murmelte etwas und sagte dann: „Die Beratung ist auch wirklich kostenlos, wenn sie eines der von mir vorgeschlagenen Konzepte akzeptieren.“ Heidi nickte und ich blechte. Nach vier Stunden Durchsicht und einer halben Stunde Beratung behielt die Dame das Geld und ging. Wir bestellten nun mehrere Versicherungsvertreter zu uns. Es gibt ja massenhaft Versicherungen: Allianz, Ergo, DEVK, Generali, und und und! Alle Vertreter die bei uns gewesen sind, hatten eines gemeinsam: Beim Durchsehen der Papiere schüttelten sie immer wieder angewidert ihre Häupter. Abschließend machten sie mehr oder weniger verrückte Vorschläge. Wir merkten bald, dass das Konzept der Finanzberaterin gar nicht so abwegig gewesen war.
Schließlich besuchte uns eine Dame vom Deutschen Ring. Als sie sich an der Haussprechanlage meldete, klang ihre Stimme recht kindlich. Es klang wie ein verschüchtertes junges Mädchen. Ich dachte, dass kann doch nicht wahr sein, dass die uns ein unbeschriebenes Blatt, einen Azubi schicken. Ich drückte trotzdem den Türöffnerknopf, öffnete die Wohnungstür und erwartete das Kind. Die Dame die daraufhin auf mich zusteuerte, konnte unmöglich das verschüchterte Kind sein. Ich fragte deshalb: „Haben sie geklingelt?“ Sie nickte erstaunt. „Sie sind wirklich von der Versicherung?“ „Ja natürlich, wen haben sie denn erwartet?“ Etwas unsicher bat ich sie herein. Heidi war noch nicht da. Ich konnte mich ganz dem Genuss des Anblickes hingeben, den die Dame bot. Sie war etwas über Mittelgröße. Hatte ein angenehmes gleichmäßiges Gesicht, braune, rötlich schimmernde Haare. War gut ausgestattet. Schick gekleidet. Eine Spur eleganter als nur Geschäftskleidung. Nachdem sie platzgenommen hatte, hatte ich sie gefragt, ob sie etwas zu trinken wünsche. Sie hatte abgelehnt. Sie widmete sich ganz dem Durchsehen der Unterlagen. Dann machte sie konkrete Vorschläge. Während ich noch überlegte, traf Heidi ein. Deshalb musste die Versicherungsdame ihre Vorschläge noch einmal wiederholen. Wir baten schließlich um mehr Bedenkzeit. Bevor die Maus ging, unterhielten wir uns noch ein wenig. Wir erfuhren, dass sie aus Chemnitz stammte, Kinder hatte und zum zweiten Mal verheiratet war. Dass sie eine Sächsin sein sollte, konnten wir nicht glauben. Sie sächselte überhaupt nicht. Sie sprach ein gepflegtes Deutsch und ihre Stimme hatte einen angenehmen, melodischen Klang. Stimme, Gesicht und Figur passten irgendwie gut zusammen. Als sie weg war diskutierten wir ihre Vorschläge. Ich war dafür, Heidi natürlich dagegen. Schließlich wurden Jana und Cora in die Diskussion einbezogen. Nachdem wir alles wieder und wieder durchgekaut hatten, sagte Jana laut und irgendwie begeistert: „Papi ist verknallt!“ Ich fühlte, wie ich rot wurde. Heidi grinste unverschämt, lachte dann und sagte: „Die junge Frau passt doch weder mit dem Alter noch größenmäßig zu dir!“ Ich schwieg. Cora musste natürlich auch ihren Senf dazugeben: „Warum soll Papi sich nicht verlieben? Du hast ja auch einen Freund. Lass Papi doch seinen Spaß.“ Als Cora das sagte, war Heidi knallrot angelaufen. Jetzt grinste ich! Wir kamen nun ganz schnell zu dem Ergebnis unserer Überlegungen: Die Vorschläge der Dame waren gut. Wir wollten abschließen. Ich rief am nächsten Tag in der Geschäftsstelle an. Als sich ein Mann meldete, bat ich mit der Frau die uns besucht hatte verbunden zu werden. Natürlich wusste ich ihren Namen nicht. Ich war so gebannt von ihrem Aussehen gewesen, dass ich den Namen nicht verstanden hatte. Es gab glücklicher Weise nur eine weibliche Mitarbeiterin. Der Mann, der sich nun als Leiter vorstellte, sagte: „Die Teamkollegin ist nicht im Haus, aber ich kann sie im Terminkalender eintragen. Wann haben sie Zeit?“ Ich wollte schon sagen: ‚Für diese Dame immer‘, beherrschte mich aber und gab eine Zeit vor. Als der Termin stand, gab ich in Gedanken eine Stunde Zeittoleranz dazu. Als sie das erste Mal dagewesen war, war sie stark verspätet. Als sie zum zweiten Termin kam, ebenso. Pünktlichkeit schien nicht ihr Ding zu sein. Aber wer wartet nicht gern auf eine schöne Frau? Wir füllten gemeinsam die entsprechenden Formulare und Anträge aus. Als wir uns verabschiedet hatten, wusste ich, dass ich diese Frau nie vergessen würde!

Dagoperth

*
Urlaubsplanung

Wenn man Sommerurlaub hört, denken die meisten Menschen sofort an Sonne, Bikinis und Meer.
Ich nicht! Dieses Jahr besonders nicht. Es begann alles ganz harmlos. Anfang Juli sagte mein Chef zu mir: „Daggi. Du wolltest doch schon immer einmal zur Kur. Diesen Wunsch kann ich Dir jetzt erfüllen. Die Auftragslage ist schlecht. Also ab zum Kurschatten.“ Ich starrte ihn völlig baff an. Dann sagte ich: „Wie kommst Du denn jetzt auf Kur? Ich wollte doch im August Urlaub haben.“ Er nickte, und sagte großzügig: „Du fährst erst zur Kur. Danach kannst Du Dich hier eine Woche betätigen und anschließend geht’s in den Familienurlaub. Heidi hat bestimmt nichts gegen Deine Kur. Ich hab auch beim Onkel Doktor schon vorgefühlt. Das wird eine Abspeckkur.“ Nun, ich hatte nichts gegen die Kur. Warum auch. Nur das blöde Grinsen der anderen Mitarbeiter störte mich. Irgendetwas stimmte hier nicht. Zu Hause freuten sich alle auf eine Erholung von meiner Anwesenheit. Ich fand das Verhalten meiner Familie gemein. Dann kam die bis jetzt ungeklärte Frage wieder auf, wohin wir im Urlaub fahren wollten. Heidi wollte zu einer Nilkreuzfahrt nach Ägypten. Jana nach Mallorca, Cora nach Griechenland – meine ganze Klasse fährt nach Griechenland meinte sie herausfordernd. Ich wollte in den Harz. Da wir uns nicht einigen konnten, wurde das Thema verschoben. Bis nach der Kur. Ich gewöhnte mich langsam an den Gedanken, mal drei Wochen Ferien von der Familie zu machen. Heidi versprach mir freundlich und großzügig mich nicht mit Kontrollbesuchen zu belästigen. Ich genoss die Zeit. Hätte ich gewusst, was nach der Kur los war, dann …! Ich kam nach drei Wochen kreuzfidel und um einige Kilo leichter nach Hause. Post hatte ich dort nicht bekommen. Ein paar Anrufe. Weiter nichts. Gespannt war ich nur auf die Urlaubsplanung. Die Damen hatten sich bestimmt geeinigt. Die Jahre zuvor hatte es auch immer Streit wegen der Urlaubsziele gegeben. Während der Kur hatte ich einen Familienvater kennengelernt, der das Problem auf seine Art löste. Er hatte eine Art Wahlurne gebaut. Jedes Familienmitglied schrieb sein Urlaubsziel auf einen Zettel, der in den Schlitz gesteckt in den Kasten fiel. Ein Glücksbringer wurde gewählt, der einen der Zettel herausfischen musste. Das Ziel, welches auf dem Zettel stand, wurde ins Auge gefasst. Grinsend meinte er: „Und so fahren wir immer dahin, wohin ich will.“ Später erklärte er mir den Trick mit dem Kasten. Und noch etwas später bauten wir einen für mich. Einen richtigen Zauberkasten.

Als ich nach Hause kam, wurde ich zwar stürmisch, aber auch etwas anders als normal begrüßt. Besonders Heidi hielt sich zurück, was sonst gar nicht ihre Art war. Und dann merkte ich es: Heidi hatte sich heimlich ihre Brüste vergrößern – oder wie sie es nannte – straffen lassen! Wäre ich gefragt worden, ich hätte nie zugestimmt. Jetzt zu schimpfen war sinnlos. Ich zuckte nur mit den Schultern. Meine einzige Konsequenz war, dass ich für alle drei Weiber die Tagesprämien für das Verhalten mir gegenüber, wegen Vertrauensbruch, für das ganze Jahr strich. Für die drei Damen würden die Geburtstags- und Weihnachtsgeschenke sehr mager ausfallen. Über das Urlaubsziel hatten sie sich noch nicht geeinigt. Nur wollte Cora inzwischen nicht mehr nach Griechenland, sondern in die Türkei. Also musste der Zauberkasten ran.
Bei einer richtigen Wahlurne liegt über dem Schlitz ein Blatt Papier oder ein Brettchen. Bei meiner glitt in Führungsleisten das Brettchen hin und her. Der Kasten war in der Seitenansicht rechteckig und in der Draufsicht quadratisch. Alle Seiten waren bunt bemalt, wobei jede Seite das gleiche gekringelte Muster hatte. Im Grunde genommen sah der Kasten fast so aus wie eine hölzerne Kaffeemühle. Oben ohne halbrunden Aufsatz und ohne Kurbel. Unten mit einer Schublade. Ich stellte visitenkartengroße, auf steife Pappe geklebte Etiketten her. Auf jedem Etikett stand das Urlaubsziel in der gleiche Schrift, Farbe und Größe. Am dritten Tag nach meiner Heimkehr versammelten wir uns im Wohnzimmer, um feierlich das Urlaubsziel zu wählen. Während ich die „Wahlurne“ etwas schräg hielt, damit die Wahlpappen gleich umfielen, wie ich erklärte, steckte jeder seine Pappe in den Schlitz. Der Boden des Schubfachs war aus dünnem „klingendem“ Holz. Wir hörten deshalb, wie die einzelnen Pappen im Schubfach ankamen und umfielen. Langsam zog ich das Fach heraus. Alle vier Pappen lagen mit der Rückseite nach oben. Cora, die gewählte Glücksfee stach mit einer langen Stopfnadel eine Pappe an und hob sie heraus. Ich schob das Fach wieder in den Kasten. Auf der Pappe stand groß und dick: GRAZ! Die drei Damen sahen mich verblüfft an. Dann fragten sie dreistimmig: „Wie kommt die Karte in den Kasten?“ Ich sagte ruhig: „Nicht nur Cora hat es sich anders überlegt, ich auch!“ Zu allem Überfluss gab ich dann noch bekannt, dass ich zwei Einbettzimmer und ein Zweibettzimmer vorgesehen hätte. Allerdings könne das Zweibettzimmer noch in Einbettzimmer getauscht werden. „Unser Hotel liegt nicht in Graz, sondern in Übelbach. Das ist ein idyllisch gelegener kleiner Ort.“ Heidi vermutete einen Trick, und zog das Schubfach erneut auf. In ihm lagen drei Pappen. Als sie diese umdrehte, lasen wir: Nil, Mallorca, Türkei! Seufzend schob sie das Schubfach wieder in den Kasten. Wir wählten die Einbettzimmer und verlebten vierzehn schöne Tage in Österreich.

Der Kasten wurde von mir unter strengem Verschluss aufbewahrt. Er kam nur beim Wählen des Urlaubszieles zum Einsatz.
Ich habe nie den Trick verraten: Es existierten zwei Schubladen! In eine fielen die Pappen und in der anderen lagen vier Pappen mit dem gleichen Ziel – meinem Ziel.

Bis später Euer Dagoperth

*
Was Du so siehst

Das vergangene Jahr ist ereignisreich gewesen. Die außerplanmäßige Kur, Heidis Bruststraffung, der Sommerurlaub in Österreich. Nach dem Urlaub ging es aber erst richtig los.
Eines Abends saßen wir auf unserer Terrasse im Garten. Heidi starrte die ganze Zeit in den Himmel. Ich fragte sie nach einer Weile: „Was starrst Du denn so nach oben? Gibt es dort ein Sonderangebot?“ Zickig schnaubte sie: „Du siehst wieder einmal gar nichts! Von wegen, dass Du ein Romantiker bist! Ich bewundere den schönen Sternenhimmel.“ Ich sah erstaunt nach oben. Von Sternen keine Spur. „Du spinnst ja. Hast Du bei Günthers zu viel Obstwein getrunken?“ „Warum bist Du so gemein?“ „Weil Du so einen Unsinn erzählst. Ich sehe keine Sterne.“ Sie stand auf, ging zum Zaun und rief zu unserem Nachbar Curti, der dösend auf seiner Bank saß, hinüber: „Hallo Curti, Daggi glaubt nicht, dass wir einen wunderbaren Sternenhimmel haben.“ Er rief zurück: „Ich sehe auch keine Sterne. Daggi hat schon Recht. Du spinnst wieder einmal.“ Empört stieg Heidi über den Zaun und ging zu Curtis Frau Hanne, die Laub aufsammelte. „Hanne, Du musst mir helfen. Die beiden Blödmänner behaupten, dass keine Sterne am Himmel sind.“ Hanne arbeitete weiter, ohne sich um Heidis Worte zu kümmern. Heidi fasste Hanne an die Schulter. Die zuckte zusammen. Heidi erschreckt und erstaunt ansehend fragte sie: „Wo kommst Du her? Was willst Du hier? Ich hab die Gartentür doch verschlossen.“ Ich rief rüber: „Ich hab Dir doch schon tausend Mal gesagt, dass Hanne schwerhörig ist.“
Hanne und Curti sind ein ideales Ehepaar. Er sieht nichts, behauptet seine Frau, sie hört nichts. Zu erst, als ich den Garten pachtete, habe ich mich immer gewundert, wenn Curti mit enormer Lautstärke: „He, hallo“ rief. Ich stand doch in seiner Nähe. Bis ich mitbekam, das er seine Frau Hanne meinte.
Heidi brüllte Hanne an: „Die beiden Kerle behaupten, dass heute kein Stern am Himmel steht!“ Hanne meinte beleidigt: „Warum brüllst Du so? Du stehst doch neben mir. Oder denkst Du auch, dass ich schwerhörig bin?“ „Nee, überhaupt nicht.“ „Was brüllst Du dann so? Scher Dich aus meinem Garten und lass mich mit Deinen blöden Sternen in Ruhe.“ Heidi wollte wieder über den Zaun steigen. Hanne schrie: „Daggi, bring Deiner Frau Manieren bei. Wozu gibt es Zäune und Türen? Das Weib schleppt dauernd das Laub von Euch zu mir rüber. Behaltet Euer Laub gefälligst!“ Heidi schnaubte zurück: „Ihr müsst ja große Langeweile haben, dass ihr jedes einzelne Blatt aufsammelt. Das ist doch Blödsinn.“ Jetzt hetzte Hanne ihren Hund Polzi auf Heidi. Polzi lief zu Heidi und gab ihr Pfötchen. Empört schimpfte Hanne erst mit Polzi und dann mit ihrem Mann.

Wieder auf der Terrasse angelangt, sagte Heidi zynisch: „Hier halten alle zusammen. Curti und Hanne sind genau solche Knaller wie Du!“ Und nach einer Pause: „Und es stehen doch Sterne am Himmel.“ Ich grinste und sagte: „Natürlich, wo sollen sie sonst stehen? Bei Günthers in der Laube bestimmt nicht.“ Heidi stand auf und ging. Wie ich nach einer Weile feststellte, war sie nach Hause gegangen. Ich blieb noch sitzen und überlegte, warum sie wegen der nicht vorhandenen Sterne so ein Theater gemacht hatte.

Am nächsten Nachmittag fragte Heidi hinterhältig: „Sag mal Daggi, wann willst Du Dir endlich ein neues Auto kaufen?“ „Du weißt doch genau, dass ich lieber laufe. Laufen ist schließlich gesund. Außerdem haben wir ja Dein Auto. Ein Auto genügt doch.“ Vor ein paar Jahren hatte ich mein Auto abgestoßen. In meiner Autowerkstatt hatten sie gesagt, dass meine alte „Karre“ den nächsten TÜV nicht schaffen würde. Ein neues Auto wollte ich nicht. Heidi war ein prima Chauffeur. Heidi meinte lachend: „Von wegen gesund, davon merkt man bei Dir nichts. Du wirst immer dicker.“
Zwei Tage später krachte es, als ich zu ihrem neuen Kleid meinte: „Solche verwaschenen Farben habe ich noch nie gesehen. Den Lappen willst Du doch nicht etwa zum Geburtstag Deiner Freundin anziehen?“ Sie zerrte mich, nach dem sie mehrere Stunden gewettert hatte, zum Auto und fuhr mit mir zum Augenarzt. Mittwochnachmittag. Da hat kein Arzt Sprechstunde.

Ein paar Wochen hörte ich kein böses Wort über meine Augen. Eines Montagmittags rief sie in der Werkstatt an. „Daggi, mein Liebling, wir fahren heute Nachmittag in die Stadt.“ Danach legte sie auf. Als ich nach Feierabend auf die Straße kam, stand ihr Auto am Straßenrand. Sie knutschte mich unter den neidischen Blicken meiner Mitstreiter ab und wir fuhren los. Schadenfreudig dachte ich daran, dass ich kein Geld einstecken hatte. Ich brauchte auch keins, wie sich heraus stellte. Wir fuhren zur Praxisklinik am Johannisplatz! Vor Freude über meine Verblüffung schnurrend, erzählte sie mir, dass sie ewig telefoniert hätte. In der ganzen Stadt hätte sie von keiner Augenarztpraxis einen Termin bekommen. Nur in der Praxisklinik wären sie zugänglicher gewesen. Der Warteraum war gerammelt voll. Das konnte ja heiter werden. Aber schon nach zwei Stunden durfte ich an einem Messgerät Platz nehmen. Ich wurde nun von einem Gerät zum anderen gereicht.
Schließlich landete ich bei einer jungen Ärztin. „Sie hätten viel früher kommen müssen. Mit einer Brille ist nichts. Wir müssen baldigst operieren. Sie haben auf beiden Augen den grauen Star.“ Ich war einer Ohnmacht nahe. Ruhig klärte mich die Ärztin über die durchzuführenden Operationen auf. Als mich Heidi abholte, sagte ich kein Wort von einer Operation.

Am nächsten Tag kam sie mit grimmigem Blick nach Hause. Sie fiel gleich über mich her: „Warum hast Du nicht gesagt, dass Du operiert werden musst? Ich habe heute angerufen und gefragt. Die sind sehr erstaunt gewesen. Du Heimtücker Du. Mich so im Ungewissen zu lassen. Du bist sehr sehr böse.“ So ging das mindestens eine Stunde lang. Ich kam absolut nicht zu Wort. Schließlich fiel sie mir weinend um den Hals und flötete: „Wie konntest Du mir das antun? Ich hab Dich doch lieb.“ Ei der Daus. Davon, dass sie mich lieb hatte, hatte ich die letzten zehn Jahre gar nichts gemerkt!  Am Abend tagte der Familienrat. Heidi trichterte den erstaunten Gören ein, dass sie sehr sehr lieb zu mir sein müssten. „Unser Vati wird nämlich mehrmals operiert. Da braucht er unsere volle Unterstützung. Wir müssen ihm in Vorbereitung der Operationen unsere ganze Liebe schenken.“ Was nach den Operationen sein würde, ließ sie offen.

Ich hatte bei dem Vorbereitungsgespräch erfahren, das es in der Praxisklinik ein Hotel für Patienten gab. Nach der Operation konnte man sich hier vollverpflegt und gepflegt über Nacht aufhalten. Das war bestimmt besser als der Stress mit der geschenkten Liebe zu Hause. Außerdem sollte ich am Tag nach den Operationen schon um halb sieben wieder in der Augenarztpraxis sein. Als ich Heidi das verklickerte, gab es einen Aufstand. Bloß gut, dass ich mit der Information bis zwei Tage vor der Operation gewartet hatte. Die drei Weiber waren schwer beleidigt. „So dankst Du Ungeheuer es uns, dass wir Dir unsere ganze Liebe schenken? Pfui!“ Ich pfiff auf die Liebe. Das war die ganzen Wochen nicht auszuhalten gewesen. Ich konnte keinen selbständigen Schritt tun. Es hätte nicht viel gefehlt und mir wäre auch noch der Hintern abgewischt worden. Ich checkte jeweils am Vormittag vor der Operation in das Pflegehotel ein und blieb vollversorgt bis zum nächsten Tag nach der Verbandsabnahme. Solche Ruhe hatte ich noch nie erlebt. Absolut keine Hektik. Kein Stress. Kein lautes Wort. Das reine Paradies. Und als beide Operationen, im Abstand von vier Wochen überstanden waren, begann zu Hause wieder der alte Trott. Ich war wie immer der Blödmann vom Dienst. Der alles machen musste, was den drei Weibern nicht genehm war.
Der Hausherr war ich nur, wenn es mit der Außenwelt Probleme gab. Da ich jetzt wieder alles sehen konnte, fiel mir so manches an meinen Familienmitgliedern auf. Coras Geschminke. Wieso malte die sich schon an? Janas Pickel. Heidis merkwürdige Bruststraffung. Ich musste sie wohl mal zu einer Schönheitskur mit allgemeiner Figurstraffung schicken. Und so einiges mehr.
Eigentlich wollte ich meine Ohren auch überholen lassen. Aber da kam ich auf den besseren Gedanken, in allen Zimmern, auf den Balkonen, an der Haustür und im Garten in der Laube und auf der Terrasse Mikrofone zu installieren.

Jetzt sehe ich wie ein Adler und höre wie ein Luchs. Es entgeht mir nichts. Meine Familie ist für mich wie ein offenes Buch. Die Gartennachbarn und die Hausbewohner sind über meine Kenntnisse und Erkenntnisse entsetzt.
Wie meine Familie dachte erfuhr ich erst, als ich eines Tages hören musste, wie Cora zu ihrer Mutter sagte: „Weist du Mutti, es ist nicht gut gewesen, dass du Vati zum Augenarzt gebracht hast. Wir hätten Vati so lassen sollen, wie er war.“ Heidi seufzte und sagte: „Ich weis. Und ich möchte bloß wissen, wieso er plötzlich so gut hört.“


Bis zum nächsten Mal

*

Familie im Garten

Eines Tages hatte Heidi, meine geliebte Gattin einen, wie sie meinte, tollen Gedanken. Zuerst fragte sich mich hinterhältig und kritisierend: „Daggi, was machst Du eigentlich nach der Arbeit? Du verschwindest immer in Dein Zimmer. Du könntest bisschen was für Deine Figur tun.“ Ich sagte nichts und wartete erst einmal ab. Sie fuhr fort: „Wir könnten uns einen Schrebergarten zulegen. Da kannst Du rummuddeln. Dich an der frischen Luft austoben und nebenbei abnehmen.“ Ehe ich noch etwas sagen konnte, riefen die blöden Gören: „Au fein Papi. Du arbeitest im Garten und wir helfen Dir bei der Ernte. Mutti helfen wir dann beim Einkochen.“ Ich musste das Gehörte erst einmal verdauen. Wenn ich mal einen Kollegen in seinem Garten besucht hatte, hatte ich erlebt wie Gartenarbeit und Gartenhilfe der Kinder aussahen! Heidi und die Mädchen redeten so lange auf mich ein, bis ich schließlich nachgab. Heidi hatte natürlich schon etwas in Aussicht. Sie hatte ein halbes Dutzend Kleingartenanlagen zusammen mit ihrer besten Freundin unter die Lupe genommen.

Was die Beiden herausgesucht hatten war katastrophal!

Der Garten war 186 Quadratmeter groß – damit ich mich nicht überanstrengen müsste.
Die Laube war ein einfacher Bretterverschlag – damit ich nicht auf die Idee käme im Garten zu übernachten.
Es gab weder einen Wasseranschluss noch Strom – damit ich nicht ständig Kaffee kochte, nicht lesen würde oder womöglich das Notebook missbrauchte.

Das erste was sie kaufte war natürlich ein Grill! Grillen im Garten ist ja schöner als auf dem Balkon, meinte sie unter dem Jubel der Kinder. So einig wie zur Zeit des Garteneinrichtens, hatte ich meine Familie noch nie erlebt.
Ich hatte drei unmittelbare Gartennachbarn. Zwei an den Schmalseiten, einen an der Längsseite. An der anderen Längsseite befand sich eine Hausmauer. Besser gesagt, eine Garagenmauer. Da es die rechte Grenze war, hatte ich keine Zaunsorgen. Wie ich fälschlicherweise dachte. Solange ich den Garten einrichtete und Beete und Rabatten anlegte, sah ich von meiner Familie nichts. Damit ich mich immer einmal ausruhen konnte, hatte ich mir eine gebrauchte Liege gekauft. Aus dem Auto hatte ich die Kühlbox, für kühle Blonde, entnommen und eine Spüle eingehandelt. Auf der ebenerdigen Terrasse standen ein kleiner Gartentisch und zwei Plastesessel. Ein paar Klappstühle Marke „Junior“ für die Kinder vervollständigten das Inventar. Später kam noch ein Marktschirm dazu. Als es wärmer und damit angenehmer im Freien wurde, bekam ich sporadisch Besuch von der Familie. Heidi kreuzte meist mit Freundinnen auf, um ihnen „ihren“ Garten zu zeigen, und mich vorzuführen.
Die Gören kamen ebenfalls mit Freundinnen. Hilfe bekam ich von niemand. Im Gegenteil. Wenn Besuch da war, fungierte ich als Grillmeister, Wirt, Kellner, Abwäscher und Klofrau. Gelobt wurde ich weder für die Gartenarbeit, noch für die Bedienung. Dabei fiel es mir sehr schwer, mich in der Gartenanlage einzugewöhnen. Die „alteingesessenen“ Pächter hatten winzige Beete und Rabatten angelegt, die sie mit Rasenkantensteinen eingefasst hatten. Jedes einzelne Beet war mit Rasenkantensteinen eingefasst!
Im Herbst mussten die Gemüsebeete „abgeräumt“ werden. Der ehemalige zweite Vorsitzende sagte mir unverblümt: „Jeder kann zwar seinen Garten einrichten wie er will, wir machen niemanden Vorschriften, aber ein gewisser Standard muss eingehalten werden.“ Was Standard war, bestimmte der Vorstand. Die Anlage zerfiel in zwei Gruppen. Altanlage und Neuanlage. In der Altanlage, deren Gärten und Lauben waren relativ klein, musste das Bundeskleingartengesetz eingehalten werden. In der Neuanlage brauchten das Bundeskleingartengesetz und die Kleingartenordnung nicht eingehalten werden. Dort hatten natürlich auch die Vorstandsmitglieder ihre Gärten.
Als die einzelnen Gartenfrüchte reif waren, hatte ich oft Besuch von der Familie. Heidi und die Kinder fraßen mir Beete, Sträucher und Bäume leer. Wenn ich dann abends mit dem Erntegut nach Hause kam, wunderten sie sich oft, dass es so wenig war. Ich bekam dann zu hören: „Du kommst recht spät. Mitbringen tust Du auch nicht viel. Was machst Du mit dem ganzen Obst? Das Gemüse bringst Du mit. Wo ist das viele Obst, was an den Bäumen hing?“ Etwas einzuwenden hatte gar keinen Zweck. Cora und Jana schlugen sich die Bäuche mit Erdbeeren, Stachelbeeren, Kirschen und anderem voll. Lieber bekamen sie Bauchweh, als das sie anderen etwas gönnten. Wenn die einzelnen Sachen erntereif wurden, machte ich im Betrieb länger und ging immer erst nach 19 Uhr in den Garten, um nicht zusehen zu müssen, wie die Weiber das Obst in sich hineinstopften. Denn wenn ich dabei war, wurde ich natürlich wegen mangelnder Aufsicht kritisiert, wenn es ihnen dann schlecht wurde.
Als es Herbst wurde grub ich alle Beetflächen um und säte Gründünger ein. Als die Gründüngerpflanzen einen halben Meter hoch waren, stellte mich der zweite Vorsitzende zur Rede. Warum ich nicht mein Unkraut weg machen würde? Von Gründünger hatte er wohl noch nie etwas gehört. Na ja, er hatte seinen Garten ja auch in der Neuanlage. Ein Vorstandsmitglied machte mir einmal den Vorschlag, als es sah, dass an dem Rand einer Rabatte Gras wuchs: „Wenn Sie mit dem Gras nicht fertig werden, dann legen Sie doch Rasen an!“ Tja, wo gibt es Rasen ohne Gras?

Der Vorsitzende stufte meine Artischocken sogar als gemeine Disteln und damit als Unkraut ein. Und Unkraut muss weg. Als ich ihn daraufhin fragte: „Was ist mit den Kugeldisteln in anderen Gärten?“ Sagte er immer noch unsensibel: „Disteln sind Unkraut und müssen weg!“ Lachen muss ich immer, wenn im Herbst die Bäume verschnitten werden. Die Bäume werden nicht ausgeästet und verschnitten. Meistens werden nur die Astspitzen abgeschnitten. Ich habe gelernt: Wenn ich meine Mütze durch die Baumkrone werfen kann, dann ist die Krone richtig verschnitten!
Dieses Jahr steht mir noch etwas bevor! Die Garagengemeinschaft will im Sommer ihre Wand neu verputzen. Angeblich soll es eine Vereinbarung darüber geben, dass die Garagengemeinschaft nur außerhalb der Vegetationszeit an ihre Mauer darf! Ich habe nach Aufforderung durch den Vorsitzenden fast alles von der Mauer weggeräumt. Nun fehlen mir aber 11 Quadratmeter Gartenfläche. Was mache ich aber mit meiner schönen großen, inzwischen drei-jährigen Artischocke und einem Fliederbaum?
Der Sommer wird bestimmt noch ein besonderes Erlebnis werden!

Bis zum nächstem mal Euer Dagoperth

  - Alle Fremdangaben / Texte seitens des L-Schoenefelder-Almanach ohne Gewähr -

Beiträge : Georg Hans Schlitte / Kurt Meran von Meranien

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